“Balkanroute” – Theater an der Wien ** Ein Stückchen Heimat

Die Musik, die ich als Kind in Serbien gehört habe, die im Haus unten im Radio gelaufen ist, spielt plötzlich auf einer Opernbühne. Musiker*Innen aus dem Balkan, die mit ihrer Freude einfach ansteckend sind: Das war der Konzertabend “Balkanroute” von Christina Pluhar & L’Arpeggiata im Theater an der Wien.

Zurück in die Kindheit, in die Heimat! 

Wenn man mich fragt, ob ich mich als “Migra” sehe, ist meine Antwort meistens “Nein”. Auch wenn meine Baka für die Liebe aus Ex-Yu nach Österreich gekommen ist: Ich komme aus einer fast reinen Akademikerfamilie. Wir sprechen die Sprache, feiern die Traditionen und Bräuche, aber trotzdem entspricht meine Familie nicht den “klassischen” Migra-Merkmalen oder -Erfahrungen. Und doch: An diesem Abend im Theater an der Wien fühle ich mich zu Hause. Es ist, als wäre ich plötzlich wieder ein Kind, unten in Serbien und Kroatien die Familie besuchen, umgeben von Musik und Essen und Leichtigkeit. Klingt kitschig, ist es auch!

Nie hätte ich gedacht, dass meine zwei Welten zusammentreffen: Meine Liebe für Oper und meine Kindheit und Familiengeschichte aus dem Balkan. 

Zu Beginn war nicht ganz klar, was uns erwartet: Die “Balkanroute” ist der Fluchtweg von Ost nach West und erzählt die Leidensgeschichte vieler Menschen. Christina Pluhar und ihr Ensemble L’Arpeggiata erzählen diese Geschichte jedoch (endlich!) mal anders. Denn an diesem Abend geht es nicht um Flucht, Leid und Gewalt, sondern um das, was uns alle verbindet – Lebensfreude und Musik.

Luciana Mancini hat auch im Theater an der Wien überzeugt.

Balkan auf einer Opernbühne? YES PLEASE!

Türkei, Griechenland, Bulgarien, Mazedonien, Serbien, Bosnien, Dalmatien. Gemeinsam mit den Sänger*Innen spielt das Ensemble L’Arpeggiata eine wunderschöne Mischung an traditionellen Liedern. Es sind die Lieder, mit denen unsere Eltern aufgewachsen sind. Lieder, die zum Einschlafen gesungen oder auf Hochzeiten gespielt werden. Lieder, bei denen man jedenfalls nicht still sitzen kann – nicht einmal die klassischen Opernbesucher*innen!

Wie kann deine Seele ohne mich sein, da mein Herz keine Stunde ohne dich sein kann?“ – Aus dem traditionell Bosnischem Lied „Evo srcu mom‘ radosti

Σας ευχαριστώ, Teşekkür ederim, hvala vam für diesen Abend!

90 Minuten ohne Pause sind wie im Flug vergangen. Man ist als Zuschauer*in aus dem Staunen gar nicht mehr rausgekommen: Bei den Instrumentalen Stücken haben die Musiker*Innen fast Fangen gespielt, um herauszufinden, wer schneller ist. 

Ihr Spaß an der Musik war nicht zu übersehen – genauso wie die Freude, ihre Heimatmusik auf so einer unüblichen Bühne vor diesem unüblichen Publikum spielen zu können.

Auch die Instrumente waren, natürlich, kein klassisches Orchester. Christina Pluhar (Konzept & musikalische Leitung) hat ein fantastisches Ensemble für den Abend zusammengestellt mit Zink, Theorbe, Akkordeon, Lyra und einfach allem, was das Balkanherz begehrt! Gesanglich war der Abend ebenso ein voller Erfolg. Die Emotion, die Freude, aber auch die Qualität und Kraft aller Sänger*innen war unvergleichbar und hat nicht nur einmal für Tränen in den Augen gesorgt. 

Das Ensemble:
Doron Sherwin (Zink), Josep Maria Martí Duran (Theorbe, Barockgitarre), David Mayoral & Tobias Steinberger (Percussion), Leonardo Teruggi (Kontrabass), Petar Ralchev (Akkordeon; Bulgarien), Peyo Peev (Gadulka; Bulgarien), Kyriakos Tapakis (Oud; Griechenland), Stefano Dorakakis (Kanun; Griechenland), Giorgos Kontoyiannis (Lyra; Griechenland).

Die Sänger*Innen: 
Nataša Mirković (Bosnien-Herzegowina), Katerina Papadopoulou (Griechenland), Céline Scheen (Belgien), Luciana Mancini (Chile/Schweden) und Vincenzo Capezzuto (Italien)

Are mou rindineddha“ (Traditional, Greco-Salentino), gesungen von Vincenzo Capezzuto & Katerina Papadopoulou

So zugänglich kann ein Opernhaus sein.

Vier Zugaben, eine halbe Stunde länger als geplant, ein spontanes Acapella-Stück – all das unter tosendem Applaus und vier Standing Ovations. Ein klarer Beweis dafür, dass es solche Programme öfter braucht. Konzerte, bei denen die Heimat, Musik und Tradition verschiedener Menschen auf eine Opernbühne gebracht werden und für Freude sorgen.

Opernhäuser haben nicht den besten Ruf abseits der eingeschweißten Opern-Bubble. Die Hemmschwelle ist meist groß, die Zielgruppe eher alt, weiß, reich und konservativ. Menschen mit Migrationshintergrund oder abseits der oberen/mittleren Gesellschaftsschicht verirren sich selten hierhin. Doch wenn Konzerte wie dieses wiederholt werden, könnte sich das bald ändern. Denn egal wie viel uns in voneinander trennt: Letztendlich sind wir alle durch die Musik und die Freude daran verbunden. 

Diese Zugabe spielte es auch im Theater an der Wien. Stimmung = TOP!

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