Ein Premierenbericht aus der Volksoper.
Die Premiere einer Operette auf den internationalen feministischen Kampftag (auch Weltfrauentag) zu legen, ist schon einmal gewagt – denn wenige Operetten spielen in das Narrativ der Gleichberechtigung und Unabhängigkeit von FLINTA*-Personen. “Die Csárdásfürstin” ist, theoretisch, eine halbwegs passende Operette für diesen Tag. Theoretisch.
Weisst du, wie lange noch der Globus sich dreht? Ob es morgen nicht schon zu spät! – Die Csárdásfürstin
Ich bin mir immer noch nicht sicher, wie ich zu dieser Neuinszenierung von „Die Csárdásfürstin“ stehe. Grundsätzlich: Bühnenbild, Kostüme und schauspielerische Leistung waren geil. Aber es hat die Magie gefehlt. Wenn ich ein Theaterstück mit gefühlt 25 Minuten Gesang sehen will, gehe ich ins Burgtheater. An der Volksoper Wien erwarte ich mir mehr. Mehr Musik, mehr Gesang, mehr Magie.
Moderne Inszenierung, alte Handlung, uralte Stereotypen.
Dass reiche Menschen primär andere Reiche heiraten, ist auch heute nichts Ungewöhnliches. Dass die Texte von Opere(etten) altbacken sind ist auch nichts Neues. Doch während in der Volksoper bei „My Fair Lady“ einfach das offizielle Ende weggelassen wurde, um es aktuell zu machen, wurde bei „Die Csárdásfürstin“ diese Chance verpasst – so modern die Inszenierung auch ist.
Worum geht’s?
Chansonette (=Sängerin) Sylva Varescu und Edwin Ronald sind verliebt. Edwin kommt allerdings aus einer Adelsfamilie: Seine Eltern, Leopold Maria Fürst von und zu Lippert-Weylersheim und seine Frau Anhilte, sind gegen diese “unwürdige” Beziehung und holen ihren Sohn zu sich nach Hause. Dort soll Edwin seine Cousine Anastasia Komtesse Eggenberg heiraten. Außerdem fährt Sylva nach Amerika, um ihre Karriere voranzutreiben… Boni (eigentlich Bonifaz Graf Káncsiánu), der beste Freund Edwins, ist auch in Sylva verliebt. Als Edwin nach Hause fährt, um die Geschichte mit der Verlobung zu Anastasia zu lösen, nutzt Boni seine Chance. Mit Sylva verheiratet, taucht er bei Edwins Verlobungsfeier auf. Das löst großes Chaos aus. Am Ende kommt jedoch Edwin mit Sylva und Boni mit Anastasia zusammen. Happy End – oder so.
Sylva versteht gegen Ende, dass Edwin sich eigentlich für sie „schämt“. Er würde sie zwar heiraten, würde aber nie bei seinen Eltern für sie einstehen. Allerdings ist sie genauso toxic wie Edwin selbst. Denn als er alles für sie aufgeben will, gibt sie ihm auch keine Chance. Das Drama endet damit, dass Edwin sich (in dieser Inszenierung) erhängen will aus Liebeskummer und Sylva zu ihm zurückkehrt. Liebe aus schlechtem Gewissen? Red Flag. Man hätte sich das letzte Bild auch sparen können. Edwin hätte gelernt, seinen Eltern die Stirn zu bieten, Sylva würde für sich selbst einstehen. So hinterlässt das Ende einen bitteren Beigeschmack und passt irgendwie nicht zur Aktualität, die uns die Inszenierung vorgeben will.
Regie-technisch gab es allerdings einige Highlights in der Personenführung: Edwin wird in seinen Liebesliedern zu Sylva von seinem Vater symbolisch am Kragen festgehalten. Ein starkes Zeichen, dass er zwar seinen Willen hat, sein Vater aber das letzte Wort. Für die Szene „unnötige“ Personen gehen nie von der Bühne, sondern werden quasi „abgeschalten“ und sitzen unbeteiligt daneben, während ihre Sitznachbar*Innen fast über sie drüber klettern.

Viel Theater, wenig Oper.
Das Bühnenbild in der Inszenierung von Johannes Erath ist simpel und doch glamourös. Schwarz/Weiß, leuchtende Neon-Elemente. Dazwischen fast antike Dinge, wie ein Old-School-Kaiserpanorama und -Lift, ein Barock-gemustertes Sofa und große Kristall-Luster. Die Kostüme von Gesine Völlm bringen uns zurück in die „Roaring 20ies“ (Great Gatsby und so), mit Federboas, Glitzer, Frack und Zylindern.
Knister*Wissen:
Das Kaiserpanorama war ein optisches Gerät und erzeugte dreidimensionale Bilder durch Stereoskopie. Es war quasi der Vorgänger unserer 3D-Filme: Zwei leicht unterschiedliche Bilder vom selben Motiv wurden auf Glasplatten fixiert in der Mitte einer großen, runden Holzkonstruktion mit 25 Stationen mit Gucklöchern. Alle 30 Sekunden rückte ein neues Bildpaar vor das Auge der Betrachter*Innen. Diese Entwicklung ging in ganz Europa auf Tournee und war, könnte man sagen, das erste Massenmedium unserer Zeit.

Ein Highlight der Inszenierung waren die drei (fake!) toten Pferde auf der Bühne. Ich weiß nicht, wie drei lebensgroße, viel zu realistische Pferdepuppen überhaupt erzeugt werden können, aber die würde ich verdammt gerne mal aus der Nähe sehen. Denn sie waren so realistisch, fast schon verstörend, dass sie den Abend in etwas wundervoll Gruseliges, Düsteres verwandelt haben. Fair enough, immerhin spielt die Operette während dem 1. Weltkrieg.
Oper(ette) deconstructed: Eine ewige Debatte.
Während Bühnenbild und Kostüme eine schöne Basis bildeten, hat es nicht für den Zauber ausgereicht, der sonst auf der Volksopern-Bühne zu finden ist. Der Beginn ist super unexpected. Kein Auftrittsapplaus, sondern eine ordentliche Portion Horror-Film-Feeling mit schrägen Tönen der Geigen zu Tonbandaufnahmen. Ehrlich, unerwartet, düster.
Wer Theater mag und noch nie in der Oper war, wird sich wahrscheinlich wohl fühlen. Wer Operette erwartet, wird enttäuscht sein. Und wer noch nie ein Theater oder eine Oper besucht hat… es ist nicht unbedingt ein gutes Einstiegsstück.

Es ist vor allem mutig. Der Gedanke, man müsse das Genre der Oper(ette) komplett auseinandernehmen, um eine neue Zielgruppe dafür zu begeistern, ist eine Illusion. In der Theaterwissenschaft wurde es oft diskutiert, in Deutschland oft umgesetzt. Die Theorie ist: Oper ist veraltet, klassische Musik langweilig, das Genre braucht es nicht mehr und Theater ist interessanter. Stellt euch vor, man würde sagen „ABBA, Queen und AC/DC sind zu alt, interessiert niemanden mehr, die Lieder gibt es nur mehr als Remix“. Es ist, kurz gesagt, der falsche Ansatz.
Die einzige Zielgruppe, die man so in die Oper holt, ist das Theater-Publikum – die eh schon regelmäßige Besucher*Innen der „Hochkultur“ sind. Wer noch nie in der Oper oder im Theater war, wird hier voraussichtlich eher abgeschreckt werden. Klassische Musik lebt von Magie, der Emotion und dem Zauber der Musik. Einmal hört man eine Tonbandaufnahme der Operette im Hintergrund und die erste Reaktion war „Oh, so könnte das eigentlich klingen?“.
Zu viel und gleichzeitig zu wenig.
Wenn ich in ein Opernhaus gehe, stelle ich mich auf Orchestermusik, Gesang und den Zauber der Klassik ein. In diesem Fall war es meine allererste „Csárdásfürstin“ und ich kann nicht einmal sagen, ob die Musik gut war oder nicht. Denn gefühlt wurde insgesamt 30 von 120 Minuten gesungen, während der Rest entweder von reiner Unterhaltung oder Tonband-Aufnahmen gefüllt wurden. Aber das ist auch in Ordnung, denn nicht alles muss für Opern-Newbies gemacht werden. Bei modernem Regietheater mit ein bisschen Musik in einem Opernhaus wäre allerdings eine Werkeinführung als fixer Bestandteil des Abends von Vorteil, speziell bei der Premiere.
Dass die Inszenierung zur Handlung gepasst hat, ist, für eine moderne Inszenierung, dafür schon die halbe Miete. Die Metaebene hätte es zwar nicht gebraucht, sie passt aber ganz gut zum Stück: Immer wieder hört man einen Herzschlag im Hintergrund und die Gedanken der Figuren in ein Mikrofon gesprochen oder gesungen. Auch der Mut zur Stille ist bewundernswert. Es gibt mehrere Momente, in denen einfach mehrere Minuten lang Nichts passiert. Es verstärkt das ungemütliche, die unheilvolle Stimmung. Aber auch hier gilt für mich: Wenn ich Theater sehen will, gehe ich ins Burgtheater.

Fehlende Balance und fehlende Verstärkung: ein Deep-Dive.
Premieren sind immer schwer für das Ensemble. Es ist der erste Auftritt vor vollem Zuschauerraum, die Nervosität hoch, Fehler passieren und auch Sänger*Innen können schlechte Tage haben. Auffällig war dennoch, dass Annette Dasch (Sylva Varescu) sich an diesem Abend weder in der Rolle wohl gefühlt noch stimmlich überzeugt hat. Denn bis auf die hohen Töne hat man sie kaum gehört und auch die Verständlichkeit hat massiv gelitten (thank god für übertitel). Gerade die erste Nummer als Sylva Varescu ist wohl eine der anspruchvollsten Operetten-Songs. Man braucht Stärke in den hohen Tönen wie auch in den Tiefen, eine gute Atem-Kontrolle und noch bessere Stütze. Nun war hier einerseits Dasch zu leise, andererseits das musste das Orchester unter Tobias Wögerer ein wenig treiben, um das Tempo zu halten.
Mikrofone sind normalerweise in der Oper(ette) ungern gesehen. Die Frage bleibt: Wenn eh schon innerhalb der Inszenierung mit Mikros gearbeitet wird, warum nicht gleich das gesamte Ensemble verkabeln und mittels Tontechnik die Differenzen anpassen? Generell herrschte eine Imbalance zwischen den verstärkten Sprech-Passagen und der seltenen Musik. Ersteres war so laut, dass man sich immer neu an die „normale“ Gesangslautstärke gewöhnen musste.
Währenddessen hat Alexandre Beuchat den liebeskranken Edwin überzeugend und stark gespielt/gesungen. Juliette Khalil (Anastasia) hat Dasch gesanglich in den Schatten gestellt, Jakob Semotan (Boni) war den ganzen Abend stabil unterwegs. Roland Koch (Leopold Maria Fürst von und zu Lippert-Weylersheim) spielt gut den strengen Vater, Regula Rosin (Anhilte, Leopolds Frau) hat ihren Glanzmoment in der Wiederholung des ersten Liedes („Heia, heia, in den Bergen ist mein Heimatland“).
Die Aufteilung von Feri Bácsi auf 5 Männer in verschiedenen Lebens- und Altersphasen war ein spannender Twist auf die Figur. Auch Kostüm-technisch ein Meisterwerk, mit einem Frack auf 5 Personen aufgeteilt. Johannes Deckenbach, Marco Di Sapia, Karl-Michael Ebner, Axel Herrig und Kurt Schreibmayer haben diesen Twist auch bravourös gemeistert, schön miteinander agiert und auch stimmlich ihr Bestes gegeben. Allerdings muss man das schon vorher gelesen haben oder sehr aufmerksam zusehen, um diesen Twist zu erkennen.
Fazit? Ein paar Buh-Rufe für die Regie, sonst umjubelt.
Ob man moderne Inszenierungen mag oder nicht, die aktuelle Inszenierung an der Volksoper Wien ist gut gelungen und passt zur Operette. Auch wenn sie ein bisschen mehr Musik und Magie vertragen könnte: Sie wird das Theaterpublikum erfolgreich ins Opernhaus locken und einige Fans finden. Ich bin mir auch nach dem Schreiben dieser Review noch immer unschlüssig, ob ich sie gut oder schlecht fand – und das ist wahrscheinlich auch etwas Gutes.
