Vom Menschenfeind zum Menschenfreund
Als Kind abends im Bett ein Märchen zu lesen und von der Geschichte in den Bann gezogen zu werden – Wer hat es nicht geliebt? Im Theaterstück “Der Alpenkönig und der Menschenfeind” übernimmt die junge Frau Malchen die Rolle der Prinzessin. Sie ist verliebt und möchte ihren Verlobten August heiraten. Doch wie so oft in einer Märchengeschichte, steht diesem Traum etwas im Weg. Ihr menschenfeindlicher Vater ist gegen diese Liebe und verbietet den beiden die Hochzeit. Kann er umgestimmt werden? Kann letzten Endes Hochzeit gefeiert werden? Und wer ist eigentlich dieser Alpenkönig?
Worum geht’s?
Das Klima im Herrenhaus Rappelkopf ist angespannt. Der Vater ist jähzornig und maßlos verbittert, hegt höchstes Misstrauen gegen die Mutter. Alle Bediensteten hüten sich, ihm über den Weg zu laufen. Wie sehr das seine eigene Schuld ist, wie sehr er selbst der wütende Außenseiter ist (was er eigentlich allen anderen vorwirft), realisiert er im Laufe des Theaterstücks mit der Hilfe des als übernatürliches Wesen dargestellten Alpenkönigs. Das romantisch-komische Zaubermärchen zeigt ein Familienleben, das sehr unter den Wutausbrüchen des Vaters leidet. Als schließlich alles zu kollidieren droht, unterzieht sich der Vater einer Therapieform des Alpenkönigs, um seinen aufbrausenden Charakterzügen bewusst zu werden. So verwandelt er sich unter dem Motto “Selbstreflexion” in einen liebenswürdigen Vater, der plötzlich Gefühle (die nicht “Wut” heißen) zulassen und zeigen kann.
Etwas Harry Potter und eine Spur von Hänsel & Gretel.
Das Theater in der Josefstadt lässt sein Publikum wortwörtlich in ein romantisch-komisches Zauberspiel fallen. Herab schwebende, schwarze Gestalten (die mich instantly an Dementoren aus Harry Potter erinnert haben) stellten die Jägergruppe rund um den Alpenkönig dar und der, schlussendlich in Feuer aufgehende, Wohnwagen erinnerte schon sehr an das Knusperhäuschen aus Hänsel und Gretel.
Regisseur Josef Köpplinger verbindet in dem Theaterstück reale Personen mit einer faszinierenden Fiktionalität. Es fliegen nicht nur Requisiten und Schauspieler*innen durch den Bühnenraum, sondern es wird auch auf sehr detaillierte zauberhafte Elemente, wie z.B. die sofortige Heilung des verletzten Handgelenks Rappelkopfs durch den Alpenkönig, geachtet. So wird die Magie zur Realität.

Lichterketten, Kinderlieder und interaktive Vorstellung
Auch musikalisch hat diese Inszenierung einiges zu bieten und man sitzt mitten im Geschehen. Im zweiten Akt singt der Chor aus dem Publikumsraum und kreiert ein tolles, immersives Erlebnis. Unter der musikalischen Leitung von Jürgen Goriup (Dirigat) und Florian Reithner (Klavier, musikalische Assistenz) entsteht hier ein einmaliges “Mitten-drin-Erlebnis”. Verstärkt wird das ganze durch den mit strahlenden Lichterketten geschmückten Publikumsraum des Theatersaals. An den Logen befestigte Lichterketten unterstreichen leuchtend die Liebesgesänge und den Spannungsaufbau auf der Bühne.
Die neu arrangierte Musik (Original v. Wenzel Müller) erinnert geübte Ohren manchmal an Beethovens Klavierkonzerte – und manchmal durch Text- und Melodie-Entwicklung an bekannte Kinderlieder. Nadine Zeintl überzeugte mit ihrem goldenen Sologesang im ersten Akt und erntete ordentlich Szenenapplaus. Der zweite große Applaus galt Michael Dangls gesungenem Monolog als Herr Rappelkopf. Trotz holprigem Start hat mich das gute Zusammenspiel schnell in den Bann gezogen und bis zum Ende gefesselt.

Aktualität und Diskurs
Das Theaterstück wurde 1828 im Theater in der Leopoldstadt uraufgeführt. Trotzdem könnte es nicht aktueller sein: Wiener Dialekt und schnelle, lustige Szenenwechsel sorgen aufgrund der vielen Verstrickungen der Handlungsstränge für einen unbeschwerten Theaterabend. Die musikalische Mischung aus Sologesang, instrumentalen Übergängen und Sprechtext lässt das Stück trotz einer Dauer von über zwei Stunden (inkl. Pause) unglaublich kurzweilig erscheinen.
Auch auf psychologischer und gesellschaftskritischer Ebene hat das Theaterstück einiges zu bieten. Zum Beispiel mit der Darstellung der armen, generationenübergreifenden Familie Köhler, die zu acht verwahrlost in einem Wohnwagen im Wald wohnt. Der reiche Herr Rappelkopf nutzt deren Armut, um sie hochkant aus ihrem Wohnwagen zu schmeißen. Natürlich bietet er Geld (hat er ja zur Genüge), aber dass er der trostlosen Familie ihr, seit Generationen bewohnte Zuhause genommen und sie vollkommen schutzlos auf die Straße gesetzt hat, kümmert ihn nicht.

Zu viel Geld und zu wenig Empathie – kommt uns bekannt vor, oder?
In “Alpenkönig und Menschenfeind” gibt es aber noch eine andere, wahrscheinlich unbeabsichtigte Aktualität: Nämlich zu den realen Vorgängen von männlichen* Führungspersonen. Im “Big Picture” denke ich da an die Menschheitsgeschichte – Krieg, Aggression, Sturheit und Egoismus. Konkreter wird es aber dann ironischerweise im Theater in der Josefstadt selbst (*hust* Intendanz-Probleme *hust*). Dass genau hier ein Theaterstück zur Aufführung gebracht wird, in dem ein Misanthrop – ein Mann, vor dem man sich besser in Acht nehmen sollte – im Fokus steht, erscheint mir ein gewagter, aber ziemlich notwendiger Schritt in die positive Richtung. Gerne noch mehr davon!

Aber nochmal von vorne – worum geht’s?
Der Spielort wechselt das gesamte Theaterstück zwischen drei Schauplätzen: Ein großes Herrenhaus, das durch eine ganze Mannschaft an Bediensteten in Schuss gehalten wird. Ein kleiner Wohnwagen auf einer Waldlichtung, in dem eine achtköpfige Familie haust. Und eine kleine Aussichtsbank, umgeben von Natur, Gestein und Bäumen. An letzterer finden Malchen (Johanna Mahaffy) und ihre Kammerzofe Lischen (Nadine Zeintl) Rast, als der Alpenkönig (Günter Franzmeier) erscheint. Entgegen allen Mythen, die beide Frauen gehört haben – wie z.B., dass man beim Anblick des Alpenkönigs um zehn Jahre altert – erweist sich der Mann als gerecht und geradezu menschenfreundlich.
Währenddessen wird der reiche Gutsherr und Vater von Malchen, Herr von Rappelkopf (Michael Dangl), von einigen seiner Freunde bei einem finanziellen Abkommen übers Ohr gehauen. Deshalb fühlt er ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber der gesamten Menschheit und zieht sich mit seiner Familie, seiner Gattin Sophie (Alexandra Krismer) und der gemeinsamen Tochter Malchen, in ein Gutshaus im Wald zurück.
Im Team der Bediensteten sind der Hausmeister Habakuk (Johannes Seilern) und das etwas freche Kammermädchen Lischen. Sie sind die einzigen, die sich in die Nähe des Misanthropen trauen. Und auch das nicht ohne sich hier und da vor einem fliegenden Stuhl wegducken, oder die Beschuldigung eines Mordversuches auf sich nehmen zu müssen. Als der zukünftige Auserwählte August Dorn (Tobias Reinthaller) von Rappelkopfs’ Tochter ins Bild rückt, bekommt sein vehementer Argwohn eine neue Dimension. Er verachtet die Entscheidung seiner Tochter ebenso wie den Zuspruch seiner Frau. Durch ein Missverständnis glaubt er, seine Frau hätte versucht ihn zu ermorden – und flüchtet in einen Wohnwagen im Wald.
Inzwischen ruft Sophie ihren Bruder Herr von Silberkern (Martin Niedermair) aus Venedig zur Hilfe, um die Bediensteten von der guten Seite Rappelkopfs zu überzeugen. Auch der Alpenkönig trifft im Herrenhaus ein. Er hat bei seiner ersten Begegnung mit Malchen versprochen, für ihre Hochzeit zu sorgen. Alpenkönig und Rappelkopf treffen ein Abkommen: Ersterer verwandelt sich in Rappelkopf, während Rappelkopf zu Silberkern wird, jedenfalls für kurze Zeit. So erfährt der jähzornige Herr von Rappelkopf, dass seine Frau ihn ehrlich liebt – und muss dabei zusehen, wie der Alpenkönig, verzaubert als Rappelkopf selbst, ihr näher kommt.
Er erkennt seine familiäre Liebe, gewinnt neues Vertrauen zu seinem Umfeld und verspricht, sich zu bessern. Endlich darf auch seine Tochter Malchen ihren liebsten August heiraten. Happy End!