Staatsopern-Feminismus – aber make it good! Wie Regisseur Kosky an der Wiener Staatsoper in seiner Così fan Tutte diese misogynen Theorien an den Rand stellt und sie trotz einer Staatsopern-Inszenierung gar nicht so Staatsopern-like inszeniert, ist beeindruckend.
„Man kann der immanenten Misogynie des Stücks nicht entgehen“ – Barrie Kosky
Auf den ersten Blick scheint der Opernabend wie jeder andere in der Wiener Staatsoper zu sein: schön, szenisch unaufgeregt und over all nett. Aber dann, mit Blick ins Programmheft, offenbaren sich Tiefen, die mich die ganze Vorstellung bei Stange halten.
Zum Verständnis: Worum geht’s eigentlich?
In Mozarts Oper Così fan Tutte geht es hauptsächlich um zwei Männer, die mit allen Tricks versuchen, ihre beiden Verlobten zum Fremdgehen zu verleiten. (no joke!) Die beiden Männer, Ferrando (Edgardo Rocha) und Guglielmo (Peter Kellner) wiegen sich am Beginn der Handlung in absoluter Sicherheit, die keuschesten und treuesten Damen ergattert zu haben. Darauf hat ein Philosoph und Freund der beiden, Don Alfonso (Luca Pisaroni) nur eine Antwort: treue Frauen gibt es nicht.
Da weder Ferrando noch Guglielmo Don Alfonso Glauben schenken, schließt dieser mit ihnen eine Wette ab. Die beiden müssen von der Bildfläche verschwinden, dann werden sich die Frauen rasch nach neuen Ehemännern umsehen. Da beide alpha-ähnlichen Männerparteien auf ihrem Glaubenssatz beharren, verabschieden sich Ferrando und Guglielmo mit dem Vorwand, in den Krieg ziehen zu müssen. Sie kommen verkleidet zurück und versuchen, den beiden Schwestern Fiordiligi (Louise Adler) und Dorabella (Emily D’Angelo) als Freunde des Don Alfonso vorzustellen.

Ein guter Flirt, versuchte Untreue und ein Happy End
Da es in dieser Geschichte um das Beweisen von Un- bzw. Treue geht, versuchen die beiden Männer, die Verlobte des jeweils anderen um den Finger zu wickeln. Aber keine Chance: Dorabella bleibt ihrem Ferrando treu und Fiordiligi äußert in ihrer „Felsenarie“ sogar den sehnlichen Wunsch, ihrem Guglielmo an die Front zu folgen. Viele Flirt-Versuche der beiden Männer schlagen fehl, bis sie zum wohl dramatischsten Mittel greifen, um für die eigene Belustigung die Herzen der beiden Frauen für sich zu gewinnen: Gift. (Ja, sie vergiften sich ernsthaft, nur um den kleinsten Funken Aufmerksamkeit, aller höchstens einen Kuss zu bekommen… Und dann sagt noch jemand, Frauen seien dramatisch) Der Plan scheint aber aufzugehen, denn die beiden Herren drohen vor den Augen Fiordiligis und Dorabellas zu sterben. Nach dem im letzten Moment verabreichten Heilmittel rät auch die enge Vertraute (und Komplizin Don Alfonsos) Despina (Maria Nazarova) den beiden Schwestern, eine Affäre mit den sogar für sie zu sterben-bereit-seienden jungen Herren einzugehen. Entgegen ihres ursprünglichen Zweifels lässt Dorabella sich letzten Endes doch auf ein Pantscherl mit dem verkleideten Ferrando ein.
Die Dinge nehmen ihren Lauf und gerade als die neuen Eheverträge aufgesetzt und unterzeichnet werden sollen, wird die Rückkehr Ferrandos und Guglielmos angekündigt. Erst zutiefst gekränkt, empört und zur Schau gestellt, können nach kurzer Zeit sowohl Fiordiligi und Dorabella ihren ursprünglichen Versprochenen, als auch Ferrando und Guglielmo den beiden Schwestern verzeihen. Es soll geheiratet und nach folgendem Grundsatz gelebt werden:
„Glücklich ist der Mensch, der alles von der guten Seite nimmt und sich in den Wechselfällen des Lebens von der Vernunft leiten lässt.“

Messy aber Cute – und eine zeitgemäße Lösung.
Ist das Stück misogyn: JA!
Inszenierung zur Zufriedenheit einer Feministin (mir): Auf jeden Fall!
Die feministische Aufarbeitung dieser extrem misogynen Handlung beginnt in großer Form mit dem Bühnenbild. Ein großer Theatersaal, im Hintergrund Überbleibsel eines Requisitenfundus. Ein junges Theaterensemble, das tratschend und mit guter Laune zur Probe kommt, eine messy-aber-cute Regisseur-Situation – we love it! Bis der adrette junge Herr den Mund aufmacht. Verbal ist Così fan Tutte wahrscheinlich eine der frauenverachtendsten Opern überhaupt, aber wie Barrie Kosky trotz unverändertem Libretto inszeniert, ist genial. Denn der Regisseur entpuppt sich in dieser Inszenierung als Don Alfonso, sprich: der Übeltäter in dieser Geschichte. Aber auch nicht ganz, wenn man Koskys Inszenierungsplan folgt.
Alfonso übernimmt in dieser Theater-im-Theater Inszenierung die Rolle eines vergessenen, noch-einmal-das-Stück-seines-Lebens-schreiben-wollenden Regisseur, der mit diesem fünfköpfigen Schauspielensemble eben diese Treppe des Ruhms erklimmen versucht. Anders als im Original vorgesehen – und hier beginnt der Feminismus – wissen alle Teilnehmenden über die Handlung Bescheid. Sie sollen immerhin die Rollen der Opern-Persönlichkeiten annehmen. Da der erste Akt auf die Atmosphäre einer echten Theaterprobe baut, sind die Fiordiligi und Dorabella verkörpernden Schauspielerinnen nicht nur anwesend, als über den späteren Betrug gesprochen wird, sondern auch aktive Zuhörerinnen.

Ein höchst komplexes Spiel aus Wissen und Nicht-Wissen, aus realen Gefühlen und real wirkenden (aber geschauspielerten) Gefühlen und dem ursprünglichen Mozart-Plot beginnt und hält das Publikum sauber bei Atem. Zur Unterstützung dienen häufige und vor allem prägnante Kostümwechsel, welche die unterschiedlichen Stellen im Libretto, aber auch die verschiedenen Stages der Schauspielenden mit der Identifikation in der eigenen Rolle widerspiegeln. Für Interpretationsspielraum ist in dieser Inszenierung von Barrie Kosky mit Bühne & Kostüm von Gianluca Falaschi gesorgt.
„Unglaublich, unglaublich, unglaublich…“
Die Così fan Tutte der Wiener Staatsoper ist die perfekte Mischung für Tragik-Liebhabende und Kabarett-interessierte Operngänger*innen. Inszenierungsmäßig hilarious, musikalisch höchst niveauvoll. Der Zwischenapplaus und das „Unglaublich, unglaublich, unglaublich…“ meines Sitznachbarn nach Fiordiligis „Per pietá“ Arie ist ein Indiz für Musik, die einem das Herz bricht. In diesem Fall hat (konträr zu meinen letzten Staatsopern-Besuchen) nicht nur Louise Adler als Fiordiligi, sondern das gesamte junge Ensemble gesanglich brilliert. Allen voran auch Peter Kellner mit einem ausgesprochen breiten, fast Falsett-losen Tonumfang in der Rolle des Guglielmo.
Knister*Wissen: Das Falsett ist ein anderer Begriff für die Kopfstimme, ursprünglich kommt das Falsett vom italienischen Wort „falso“ für „falsch“. Nun ist im Falsett zu singen absolut nicht falsch, im Gegenteil: es ist eine gesangliche Ausdrucksweise jenseits der natürlichen Sprechstimme, die auch trainiert werden muss.
Philippe Jordan als Dirigent – mit Handkuss!
Der Max Verstappen der Dirigent*innenwelt (keine Sorge: Jordan hält auch problemlos das langsame Tempo) entlockte dem Staatsopernorchester den musikalischen Schmäh aus Mozarts Zeiten und setzte ihn für uns greifbar in die Gegenwart. Ein Genuss! Das Orchester, entgegen Mozarts Manier eher zart besetzt, könnte mit größerer Besetzung nicht schöner klingen. Denn „alles wird auf das Wesentliche reduziert: Die Orchestrierung ist extrem ökonomisch und bietet nur das Nötigste im besten Sinne“. Das, und dass für ihn Così fan Tutte musikalisch das schönste Werk, vielmehr die Essenz der vorangegangenen Mozart-Opern sei, erzählt Philippe Jordan in seinem Text „Im Schattenreich der Gefühle“.
Wenig verwunderlich, denn die ausgewogene Mischung von humoristischen Gesängen im Terzett und Quartett des Opernensembles bilden in Verbindung mit traurig-schönen Arien-Schwüngen in den einzelnen Solopartien ein unglaubliches musikalisches Gesamtmeisterwerk. Chapeau, Mozart! Und Chapeau, Kosky – um noch einmal diese gelungene Inszenierung zu loben.