Alles wirklich toll soweit, bis kurz nach der Hälfte dann doch ein Mann um die Ecke biegt.
Wir alle kennen das alljährliche Neujahrskonzert im Wiener Musikverein: Donauwalzer, Radetzky Marsch, darf man Klatschen oder nicht, konservativ etc. Ein Konzert, in dem Besucher*innen (nach Erwerb der Tausend-Euro-Karten) Strauss Vater, Strauss Sohn und vielleicht – wenn die Wiener Philharmoniker Abwechslung brauchen – noch einen Strauss Cousin hören können. Eh schön, aber doch irgendwann auch echt langweilig!
Bis 2025 hat man beim klassischen Neujahrskonzert noch nie ein von einer Frau komponiertes Stück gehört. Noch nie ist eine Frau am Dirigent:innenpult gestanden (dafür Riccardo Muti ganze 7 Mal!), gefühlt noch nie ist auch nur ein Gedanke daran investiert worden. Anders sah es Anfang Jänner im MuTh Wien aus. Am Programm: Ein Konzert voll mit Stücken aus ausschließlich (so ließ man es uns glauben) weiblicher Feder.
„Neujahrskonzert der Komponistinnen“ – lieben wir!! Endlich hört man mal was Neues! Doch dann, kurz nach Beginn, heißt es plötzlich in der Moderation „Johann Strauss und (seine) Zeitgenossinnen“ – ähm, Moment mal. Johann Strauss, das hört sich jetzt nicht unbedingt nach einer Frau, vor allem nicht nach einer damals klein gehaltenen Komponistin an… Nun gut, dann dient der Name “Johann Strauss” wohl zur zeitlichen Einordnung (also etwa 1800-1850). Zudem befinden wir uns ebenso gerade in einem Strauss-Jahr, entscheiden wir uns gegen Ausgrenzung und lassen wir ihn doch auch dabei sein. Oder so.
Doch nur beim Namen blieb es nicht.
Schon klar, es gibt vor allem in historischem Kontext wohl keine Geschichtserzählung, in welcher Männer nicht vorkommen, aber dennoch schienen mir im Laufe des Abends wohl mehr maskulin klingende Namen als die, der zuvor so angepriesenen weiblichen Komponistinnen zu Ohr gekommen zu sein. Damals war es nun mal so (das habe ich von Moderatorin Irene Suchy während des Konzerts gelernt), dass eine alleinstehende Frau trotz gleicher Begabung wie ihre Zeitgenossen eine Karriere als Musikerin viel schwerer erreichen konnte. Ob sich Frau nun wie Leopoldine Blahetka durch Ludwig Von Beethoven fördern ließ, oder sich wie Constanze Geiger durch eine Hochzeit mit Leopold Coburg (aus Liebe oder – wer könnt’s ihr verübeln – aufgrund von finanziellen Vorteilen) mit gleich zwei sehr vorteilhaften Trauzeugen, Klavierfabrikant Johann Baptist Streicher und Musikverleger Carl Haslinger, einfach oder dreifach absicherte, entsprang laut Suchy den damals ganz normalen, heute aufs äußerste frauenverachtenden gesellschaftlichen Strukturen, denen es mit präziser strategischer Planung zu entkommen galt.
Sowieso immer, aber besonders an diesem Samstagabend habe ich bemerkt, wie froh ich bin, dass zumindest einige wenige Frauen das Game durchschaut haben und ich heute deren Musik genießen kann. Denn sie ist äußerst klug komponiert, verspielt, glitzernd und tanzend im Ohr – und wohltuend, weil von Frau geschrieben, auf der Seele.
Was haben klassische Musik und ihr Publikum meistens gemeinsam? Richtig, beides ist sehr sehr alt.
So sehr ich mich dagegen sträube und ich ja grundsätzlich die Meinung vertrete, dass eh schon viel getan wird, um jungen Menschen die Opern- und Musikwelt irgendwie näher zu bringen: Ich muss mich jetzt kurz beschweren. Ich höre jetzt noch meine Gedanken, während ich das MuTh betreten habe:
“Holy, ich glaube ich gehöre zu den fünf Jüngsten im Publikum”.
Und ich meine das nicht im Sinne des eklatanten alten weißen Konzertbesuchers, die Stimmung war schon frisch und locker, aber es herrschte dennoch ein auffallend hoher Altersdurchschnitt mit 70+. Schade, denn die Musik war angenehme, leichte Kost, easy zu verdauen und perfekt, um einerseits beschwingt den Abend zu genießen, andererseits um als möglicherweise Konzert-Quereinsteiger:in einen sanften Einstieg zu erleben.
Das internationale Ensemble und der Überraschungseffekt
Verbal begleitet wurde das Programm von einer moderiernden, glitzernden Irene Suchy. Die Ö1-Moderatorin unterhielt das Publikum mit fundierten Fakten über die gehörten Stücke, kurzen fun-fact-ähnlichen Anekdoten aus dem Leben der Komponistinnen und einem etwas zu langwierigen Exkurs in Online-Schnitzeljagden zu musikhistorischen Plätzen Wiens auf ihrer Website.
Zwei Violinen, Cello, Kontrabass und ein Klavier – das international aufgestellte Ensemble beweist, dass das alles ist, was es für einen gelungenen Konzertabend braucht. Spielerisch und leicht werden Menuette und Walzer aus dem 19. Jahrhundert und moderne Stücke wie beispielsweise ein Stück mit dem Titel “Dancing Racoon and Flying Fish” aus der Gegenwart aufgeführt.
Das jüngste Stück “Cotswolds” feierte an diesem Abend zur Überraschung aller Zusehenden seine Uraufführung. Neben Barbara Rektenwald, der Komponistin dieses zwei Wochen alten Stückes galt auch Ursula Erhart-Schwertmann ein großer Applaus für ihre Eigenkompositionen und eigens verfassten, auf diese Ensemble-Konstellation zugeschnittenen Arrangements älterer Stücke. Die Wiener Cellistin trommelte wirklich ein außergewöhnliches Team zusammen: Konzertmeisterin an der ersten Violine Anaïs Tamisier führte stürmisch an, mit starkem Klang der zweiten Violine Marianna Oczkowska. Die Basis für jede kleine Instrumentengruppe ist der Kontrabass, mit Goran Kostić an den Saiten, die Truppe zusammenhaltend und mit genialen musikalischen Einwürfen überzeugend am Klavier Jan Satler.
An dieser Stelle ein Danke an dieses Ensemble, für einen sehr schönen, unaufgeregten und dennoch spannenden Neujahrs-Konzertabend mit Stücken von fast nur weiblichen Persönlichkeiten. Auch die Komponistinnen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verdienen einen Dank. Denn ihre Geschichten wirken bestärkend, sie sorgen für Gleichgewicht und Gleichberechtigung in der Musikwelt und bringen Hoffnung! Also – Man sieht sich in 10 Jahren am Dirigentinnenpult beim Neujahrskonzert im Goldenen Saal…
In diesem Sinne: kultur*knistern und ich wünschen: ✨Prosit Neujahr ✨