Elektrische Fische – NEST ** neu, jung & knisternd!

Die Sprache ist fremd, das Signal des Krankenwagens, die Straßen, sogar die nassen Teebeutel im Heferl bereiten mir Kummer. Wo bin ich? Ich, 13 Jahre alt, bin hilflos in einer neuen Welt. Ich beginne, mich um meine Schwester Aoife zu sorgen, sie spricht nicht mehr. In der neuen Schule nennen sie sie „Affe“. Es bricht mir das Herz. 

Worum geht’s?
Emma zieht mit ihrer Familie von Irland nach Nordostdeutschland. Ungewollt, urplötzlich. Dublin wird zu einem kleinen deutschen Dorf. Ein Dorf, in das niemand je hinzieht. „Wenn, dann wegziehen!“, sagen die Einheimischen. Emmas Familie aber zieht hin, und damit muss sie klarkommen. Gemeinsam mit ihrem neuen Freund Levin will sie auf eigene Faust zurück nach Dublin reisen – und muss sich entscheiden. Alleine in Dublin, oder Nordostdeutschland mit ihrer Familie und Levin?

Das war die Premiere von “Elektrische Fische” im NEST!

Umbruch und Neuanfang: Was bedeutet Zuhause?

„Die Sprache ist fremd, sogar der Teebeutel ist fremd. Was bedeutet ‚Zuhause‘? Die jüngste Schwester beschließt, einfach nicht mehr zu sprechen.“

Der Versuch, die Staatsoper zu verjüngen, ist definitiv gelungen. Sie zu diversifizieren eher nicht. Klar ist es toll, Veranstaltungen für Kinder anzubieten, das NEST macht dahingehend schon einen Schritt in die richtige Richtung. Der einzige Haken, das derzeit größte Manko aller Opernhäuser, konnte aber auch im neu gedachten, “innovativ” (so wirbt man) aufgezogenen NEST nicht gelöst werden: Das Eliten-Thema und die fehlende Diversität. Und das ist ein Problem.

Vor Beginn der Veranstaltung ist mir neben Deutsch noch eine weitere Sprache im Publikumsraum begegnet: Englisch. Gut, wenigstens zweisprachig. Schlecht, weil es immer die gleichen Sprachen sind. Deutsch, Englisch, Französisch. Die muss man können, in der Opernwelt – und das ist veraltet. Ja, Puccini wird keine slowakische Oper mehr schreiben und eine Oper von Viktor Parma kennt niemand/müsste man erst zur Aufführung bringen. Es geht aber auch nicht um die Musik per se, sondern um Inklusion.

Elektrische Fische: Cristina Basili, Cinzia Zanovello (c) Wiener Staatsoper / Sofia Vargaiová

Neu, künstlerisch & glänzend

*Neu* – Das NEST im Künstlerhaus wirkt dynamisch, freundlich und neu. Es ist die zweite Spielstätte der Wiener Staatsoper, sozusagen ein neuer Zweig mit Fokus auf Vielfalt, Kennenlernen und Austausch. Ziel ist es, Kunst und Kultur für junges Publikum aufzubereiten und so die Opernwelt auch für unsere “kleinen Gfraster” zugänglich zu machen. Das ist gelungen. denn beim Betreten des NESTs wird man mit Bodenständigkeit, Zusammenhalt und vor allem freundlicher Offenheit willkommen geheißen.

*Künstlerisch* – hervorragend. Die Premiere der von Kenza Koutchoukali inszenierten Kinderoper Elektrische Fische strahlte aus einer Verbindung von Professionalität, Ernsthaftigkeit und Schmäh. Während die Sprechszenen verständlich gesprochen und die Arien mit Bravour gesungen werden, schafft die Liveband mit Kompositionen von Hannah Eisendle die perfekte musikalische Umrahmung. Aus diesem Grund ist diese Produktion nicht nur für junge Gäste, sondern gleichermaßen allen Erwachsenen ans Herz zu legen.

Knister*Wissen:
Eine Arie ist eine etwas längere Gesangspassage, die meistens solo – also von einer, manchmal auch zwei Personen – gesungen wird. Dies ist die Möglichkeit eines*r Sänger*in, das eigene Können zu zeigen.

*Glänzend* – Die neue Staatsoper glänzt. Das im Dezember 2024 gestartete und hoffentlich lange bestehende Projekt fasst schnell Fuß und ist schon jetzt aus der Spitzenliga der Wiener Kulturhäuser nicht mehr wegzudenken. Genauso glänzen auch die Darsteller:innen in “Elektrische Fische”. Die Kostümwahl ist einzigartig, sowohl trendy als auch modern-konventionell, entworfen von Kostümbildnerin Mahshad Safaei. So besteht Emmas Outfit aus einer silbernen Hose und einem schimmernden lila Blazer (spacey!) und Levins Kleidung aus weißer Hose und gelber Jeansjacke. Es spiegelt alle Generationen, die im NEST willkommen sind: von alt-eingebürgert bis rebellisch jung.

Elektrische Fische: Lukas Karzel, Cinzia Zanovello (c) Wiener Staatsoper / Sofia Vargaiová

Elektrisierend, jung & aufmerksam

Was ist zwei plus zwei ? – Vier.
Okay – but like what’s seven times three ? That’s 21 a baby could have solved that..

*Elektrisierend* – Von Beginn bis zum Schlussapplaus war die Oper einfach elektrisierend. Das live Ensemble mit Klarinette (Andraž Jagodic), Percussion (Kaja Włowstowska) und Cello (Cristina Basili) erzeugt mit seinen Klängen eine perfekte Begleitung, die die Inszenierung meisterhaft klingen lassen. Ein Ohrenschmaus aus modernen, polyphonen Klängen, vermischt mit bekannten Rhythmen und schönen Harmonien.

*Jung* – Das Ziel war, die Staatsoper zu verjüngen und dieser Plan ist aufgegangen! Von Vorstellungen für Schulklassen bis hin zu Mitmach-Konzerten und Veranstaltungen mit Blick hinter die Kulissen, trumpft das NEST gehörig auf. „Im Idealfall entwickelt das Programm eine Sogkraft, die einen unwiderstehlich in die Welt des Musiktheaters hineinzieht.”, schreibt Staatsoperndirektor Bogdan Rošćić und dies ist ihm mit der Vorstellung von Elektrische Fische allemal gelungen. Chapeau!

*Aufmerksam* – Knapp 50 Minuten dauert die Vorstellung von Elektrische Fische und selten habe ich von Kindern so hohe Konzentrationsfähigkeit erlebt, wie in dieser Inszenierung. Fast schon geknistert hat es im Saal, vor freudiger Erwartung, Engagement und Mitgefühl für die Protagonistin Emma. Außerdem: ein Kind, das leise eine interessierte Frage zur Handlung stellt, ist um Welten angenehmer, als das dauernde Rascheln von Hustenzuckerln oder die meistens erfolglose Suche nach dem Opernglas. Diesen Marotten wird man im NEST weniger, dafür jedoch umso größerem Eifer und Interesse begegnen.

„Ich bestehe aus zwei Sprachen.“

“Die englische Sprache bin ich. Deutsch kann ich nur. Deutsch ist Meere von mir entfernt.” – Emma

Obwohl die Oper eine Altersempfehlung ab 10 Jahren hat, hat die Message einen tiefen Ursprung. In einer Zeit, wo Multikulturalität und Herkunft eine große Rolle zu spielen scheint, ist es wichtig, dass Veranstaltungen wie diese einen Teil der Aufklärung über Gefühlslagen, unterschiedliche Lebensweisen und Sozialisierung übernehmen. Elektrische Fische zeigt, dass oft nicht mehr genug Platz für Emotionen, Gedanken und Gefühle bleibt, sondern Systeme wie Pragmatismus, Zweckorientierung und Apathie gegenüber „fremden“ oder „anders wirkenden“ Menschen überhandnehmen.

Mit diesem Gedanken sollten sich also ohne Frage auch alle Erwachsene, vielleicht jene 183 besonders wichtigen Entscheidungsträger:innen Österreichs ins NEST begeben, um Elektrische Fische zu sehen und zu verstehen.

Elektrische Fische: Cristina Basili, Cinzia Zanovello (c) Wiener Staatsoper / Sofia Vargaiová

“Ich war hier nur manchmal traurig”: Die Handlung im Detail.

Emma (Cinzia Zanovello) hat großen Kummer und dann beginnen die Mitschüler:innen auch noch, ihre Schwester Aoife (Christina Basili) aufgrund ihres Namens zu mobben. Emma sieht die Traurigkeit in den Augen Aoifes und beschließt, auf eigene Faust nach Dublin zurückzukehren. Sie beginnt mit der Unterstützung ihres neu gewonnenen Schulfreundes Levin (Lukas Karzel) einen Plan zu schmieden. Tagelang üben Emma und Levin im Park die Überquerung nach Irland, sie denken an die Straßen, die sie nehmen müssen, die Flüsse und schließlich das Meer, das sie überqueren werden.

Als Emma eines Tages unerwartet Levin zu Hause besucht, lernt sie seine psychisch kranke Mutter kennen. Diese stellt ihr eine Reihe komischer Fragen und erzählt Emma von ihrer Obsession mit elektrischen Fischen. Das seien Fische, die selbst in trüben Gewässern überleben können, weil sie mit ihren eigenen Organen Strom erzeugen würden.

In einem Abschiedsbrief an ihre Mutter schreibt Emma: „Ich war hier immer traurig, oft traurig, manchmal traurig.“ Dann fährt sie mit Levin los in Richtung Meer. Levins Mutter möchte auch wieder mal schwimmen, deshalb wird ein Stopp am Strand eingelegt. Levins Mutter geht ins Meer, bis sie plötzlich verschwindet. Der Krankenwagen versorgt sie. Es wird alles gut.

Durch diesen Ernstfall ist Emma verunsichert. Sie muss sich entscheiden: Dublin alleine oder Nordostdeutschland mit ihrer Familie – und Levin. Sie stellt sich zu ihrer Familie. „Ich war hier nur manchmal traurig.“

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