Habt ihr euch schon mal gewünscht, ihr könntet einfach in ein Märchen eintauchen und Teil dieser Welt sein, wenn auch nur kurz? Ungefähr so fühlt es sich an, sich „Hänsel und Gretel“ in der Wiener Staatsoper anzuschauen.
Das Fazit gleich am Anfang:
Ein schöner, unterhaltsamer Abend. Niemand stirbt (die Knusperhexe wird, sehr pragmatisch gesehen, zum Lebkuchen), es gibt kein Beziehungsdrama, keine Intrigen – ungewöhnlich für die Oper. Umso schöner ist es, einfach mal wieder Kind zu sein – wenn auch nur kurz.
Die Oper ist perfekt für Anfänger*Innen, für Kinder und Familien, aber auch für Erwachsene und alle, die schon immer in ein Märchen eintauchen wollten. Gerade mit dem Hype um Wicked sind Parallelen nicht vermeidbar, auch wenn sie wahrscheinlich nicht einmal beabsichtigt waren. Und doch macht es das irgendwie aus. Bei „Hänsel und Gretel“ kommt jeder auf seine Kosten: Man kann lachen, schmunzeln, das schöne Bühnenbild bewundern und sich in der sanften Wolke aus Musik, die einen umgibt, verlieren.
Achtung, Nostalgie-Gefahr: Immer wieder kommen Lieder und Reime vor, die ich als Kind (Jahrgang 1996) auswendig konnte, wie zum Beispiel „Brüderlein, komm tanz mit mir“ und „Ein Männlein steht im Walde“. Den Ohrwurm krieg ich bis heute nicht weg, danke dafür.
Dieses eine Märchen mit der Hexe und dem Lebkuchenhaus.
Hänsel und Gretel – da klingelt irgendwas. Das letzte Mal, dass ich dieses Märchen gelesen habe, ist Jahre her. Aber die Handlung ist so basic, die weiß ich noch: Hänsel und Gretel leben gemeinsam mit ihren Eltern in Armut. Unter einem Vorwand („Sammelt Holz!“ – oder waren es Beeren?) setzen sie ihre eigenen Kinder im Wald aus. Hänsel und Gretel verirren sich im Wald und kommen zu einem Lebkuchenhaus. Dort wohnt eine Hexe, die Kinder isst – sie fängt Hänsel und Gretel ein, füttert sie mit Lebkuchen und will sie in den Ofen schubsen. Doch stattdessen wird die Hexe ausgetrickst und landet selbst im Ofen. Happy End.
In der Oper von Engelbert Humperdinck ist die Handlung ein bisschen abgeändert. Hänsel und Gretels Vater ist ein Besenverkäufer und Alkoholiker, die Mutter schon etwas an der Grenze ihrer Geduld, alle sind hungrig, weil kein Geld da ist. Sie leben in einer Hütte im Wald, die Kinder machen den Haushalt und binden Besen.
Eine Inszenierung wie im Traumland
Während der Ouvertüre (= quasi eine musikalische Zusammenfassung der Oper, ca. 10 Minuten lang und immer ganz am Anfang einer Oper) sehen wir ein Haus einer reichen Familie. Der Vater zeigt den Kindern mit einem Projektor lauter Bilder von Sehenswürdigkeiten (und einem Wald, sonst würde die Handlung nicht funktionieren). Nachdem die Kinder schlafen geschickt werden, schleichen sich zwei zurück in den Raum und spielen mit den Schatten. Plötzlich taucht der Schatten einer Hexe auf der Leinwand auf. Sie reißen sie herunter und dahinter ist ein großes Loch in der Wand, mit dem Wald dahinter – in den sie hinein gehen. (Die Heizkosten hätte ich nicht gerne.)
Sie finden ein Haus im Wald und schauen durch’s Fenster. Hier wohnen Hänsel und Gretel mit ihrer Familie, die Szene wechselt und wir befinden uns mitten im Märchen. Ist es der Traum der zwei Kinder, ihre Fantasie oder sind sie tatsächlich im Wald? Ich bin mir nicht ganz sicher.
Als die Mutter Hänsel und Gretel beim Spielen erwischt, anstatt ihre Aufgaben zu erledigen, zerschlägt sie unabsichtlich einen Krug mit Milch und schickt die Kinder aus Zorn in den Wald zum Beeren suchen. Der Vater kommt betrunken heim und bringt Essen mit, er hatte einen guten Verkaufstag – doch mitten in der Nacht sind die Kinder immer noch nicht zurück. Also gehen die Eltern sie besorgt suchen. Währenddessen haben Hänsel und Gretel sich im Wald verirrt, alle gesammelten Beeren wieder aufgegessen und sich, nach einer kurzen Panikattacke (I mean, sie sind mitten in der Nacht im Wald, wer würde da ruhig bleiben), schlafen gelegt. Der Sandmann kommt vorbei und lässt sie träumen, der Tau weckt sie auf (Ja, Sandmann und Tau sind je eine Person. Nein, wir hinterfragen es nicht – vor allem wenn es so glitzernde Kostüme sind).
Luftballon-Wolken, Engel und ein bisschen „Wicked“.
Hänsel und Gretel schlafen. Daneben sehen wir wieder die zwei Kinder vom Anfang. Sie und eine Gruppe anderer Kinder sind alle in Nachthemden gekleidet, spielen mit weißen Luftballonen und laufen auf einer grünen Wiese herum. Es endet damit, dass die zwei uns bekannten Kinder sich in eine Luftballon-Wolke setzen, einschlafen und in den Himmel aufsteigen. Also ist es doch ihr Traum, den wir hier mitverfolgen. Glaube ich.
Hänsel und Gretel wachen auf und hatten denselben Traum: 14 Engel zeigen ihnen den Weg zu einem Lebkuchenhaus, direkt in die Hände der Hexe. Absoluter Lieblinsgteil meinerseits, denn die Hexe wird nicht nur von einem Mann gespielt, der seine Rolle offensichtlich genießt, sondern es sind auch viele popkulturelle Referenzen versteckt. Die Ringelsocken der Hexe, das Herumwirbeln des Besens, der aufregende Flug durch die Wolken – ich hatte ein instant throwback zu „Wicked“ (und einen sehr komischen Ohrwurm dazu, mit Oper und „Defying Gravity“ vermischt).
Happy End – zumindest für die Kinder.
Die Hexe fängt sie, will sie mästen und essen, Hexe wird ausgetrickst, bla bla bla, wissen wir schon. Das Besondere in der Oper: Nachdem sie die Hexe erfolgreich in den Ofen geschubst haben (coldblooded murder in my opinion, aber irgendwie zu recht, Selbstverteidigung und so), werden die 14 Lebkuchenmänner im Garten der Hexe wieder lebendig: Es sind die Kinder, die die Hexe vor Hänsel und Gretel schon gefangen genommen hatte. Traum und Wirklichkeit vermischen sich, im Hintergrund ist plötzlich ein Luftballon-Wolken-Baum zu sehen, jetzt aber farbenfroh statt, wie vorher im Traum, nur weiß. Hänsel und Gretel sind umringt von engelsgleichen Kindern im Nachthemd und werden gefeiert, ihre Eltern finden sie, alle haben genug zu essen und es ist ein Happy End.
Kritik zur Aufführung am 30.12.:
Hänsel (Juliette Mars) und Gretel (Kathrin Zukowski) überzeugen musikalisch mit wunderschöner Harmonie (speziell das Abendgebet war so schön und sanft, dass man selbst als Zuschauer*In ruhiger und entspannter wurde). Meine einzige Kritik ist tatsächlich, dass ich ihnen am Anfang die „Kind-Bewegungen“ nicht abkaufe. Ein bisschen zu gestellt, ein bisschen zu viel „so tun als ob“. Allerdings ist das nur in ihrer ersten Szene aufgefallen und immer besser und natürlicher geworden – sie hatten sehr offensichtlich Spaß an ihrer Rolle.
Thomas Ebenstein als Knusperhexe war mein persönlicher Favorit. Er hat es darauf angelegt, speziell die Erwachsenen zum Lachen zu bringen und es erfolgreich geschafft. Seine Art und Weise sich zu bewegen und den Charakter zum Leben zu bringen war wirklich sehenswert und auch die „Hexenlacher“ – Comedy-Gold.
Jochen Schmeckenbecher (Peter Besenbinder, Vater) und Regine Hangler (Gertrud, Mutter) haben ihre Rolle der etwas toxischen Eltern gut gespielt. Von dem Zorn über die Kinder, der Verzweiflung über den leeren Vorratsschrank bis hin zu absolut betrunkenen Annäherungsversuchen und der plötzlichen Sorge um die Kinder: Schmeckenbecher und Hangler haben alle Emotionen gut gespielt und sich gesanglich gut ergänzt. Ileana Tonca als Sand- und Taumännchen war leider etwas schwächer an diesem Abend, ihre Stellen waren die einzigen, wo das Textverständnis mehrmals fehlte. Das störte allerdings nicht – denn ihr Kostüm sowie ihr Auftritt waren einfach, bis auf das Verständnis, märchenhaft.