Dirndl, Schnitzel, eine Liebesgeschichte und viele Ohrwürmer – das war, zusammengefasst, die Operette „Im weißen Rössl“ an der Volksoper Wien
Nostalgie und Ohrwürmer: Ein Stück für Alle?
Habt ihr schon einmal Urlaub in Österreich gemacht? Und ich meine nicht in einer Stadt, sondern so richtig traditionell am Land, umgeben von Wiener Schnitzel, Dirndl, Lederhosen und Blasmusik?
“Im Weißen Rössl am Wolfgangsee, da steht das Glück vor der Tür!”
Die Operette von Ralph Benatzky ist ein Stück, das bei den meisten Hardcore-Klassik Fans einen ganz speziellen Platz im Herzen hat. Es ist ein Klassiker, für viele ein leichter Einstieg in das Genre und die Lieder bekommt man oft wochenlang nicht mehr aus dem Kopf. Auch für mich hat “Im weissen Rössl” eine besondere Bedeutung, denn 2016 habe ich die Requisite für die Inszenierung in Langenlois gemacht (das ist allerdings eine Geschichte für ein anderes Mal).

In der Volksoper Wien wurde das Stück (fast) ganz klassisch gehalten. Es ist das klassische, stereotypisch österreichische Hotel, mit der Belegschaft im Dirndl und einer Disco im Kuhstall. Im Gegensatz zum Film mit Peter Alexander (1960) ist die Operette bissiger. Sie hat den klassischen österreichischen Schmäh und lässt den österreichischen Stereotypen auf den Bundesdeutschen treffen: Fabrikant Wilhelm Giesecke (Matthias Matschke) wäre zum Beispiel lieber an die Nordsee gefahren und ist nur am Meckern, seine Tochter Ottilie findet das Salzkammergut schön exotisch (Nadja Mchantaf), während der sparsame Professor Hinzelmann (gespielt vom legendären Harald Schmidt) mit seiner Tochter Klara (Julia Edtmaier) die österreichische Landschaft genießt und darüber philosophiert, im Moment zu leben. Die wohl “normalsten” Personen in der ganzen Geschichte sind der Rechtsanwalt Dr. Erich Siedler (David Kerber) und der schöne, reiche Sigismund Sülzheimer (Oliver Liebl).
“Wir alle in der Kultur beschäftigen uns aktuell mit den gesellschaftlichen Herausforderungen, die sich uns real stellen.” – Jan Philipp Gloger, Regisseur
Worum geht’s?
Es ist eine österreichische Telenovela: Leopold Brandmeyer (Zahlkellner im Hotel “Im Weissen Rössl” am Wolfgangsee) ist unsterblich verliebt in die Rössl-Wirtin Josepha Vogelhuber, die ihn eigentlich auch liebt. Wilhelm Giesecke reist mit seiner Tochter Ottilie aus Deutschland an. Er führt einen Rechtsstreit mit Herrn Sülzheimer über ein Patent für einen Herren-Onesie. Zufällig trifft er im Weissen Rössl auf den zuständigen Anwalt, Dr. Erich Siedler, sowie auf Sigismund Sülzheimer, den Sohn seines Konkurrenten. Professor Hinzelmann ist mit seiner Tochter Klara auf Wander-Urlaub und sind am Weg auf Sigismund getroffen, der sie ins Weisse Rössl mitnimmt. Siedler kommt mit Ottilie zusammen, Sigismund mit Klara, Hinzelmann hat seinen Spar-Urlaub, Giesecke klärt seinen Rechtsstreit, Leopold und Josepha heiraten und verkaufen das Hotel. Happy End für alle!
Falsche Tradition, falsche Heimat. Zeit, die Lederhose neu zu erfinden.
So lustig und oberflächlich das Stück (normalerweise) ist: Regisseur Jan Philipp Gloger hat einen gesellschaftskritischen, sogar philosophischen Touch ergänzt. Denn vom Tourismus wird ein ganz spezielles Bild der österreichischen Landschaft erwartet. Im “Weissen Rössl” wird alles daran gesetzt, dieses Bild aufrechtzuerhalten: Die Wirtin Josepha Vogelhuber (Ursula Pfitzner) ist eigentlich gar nicht vom Land, fühlt sich vom täglichen Dirndl-tragen fast erdrückt und wünscht sich nur, dass jemand ihr wahres “Ich” erkennt. Der Kaiser (ja, tatsächlich unser “Kaiser” Robert Palfrader) will endlich aus seiner Kaiser-Rolle schlüpfen und hat die Nase voll von seinem modernen Kaiser-Dasein.
Was, wenn wir nicht mehr an diesen Traditionen, dieser “Kultur”, festhalten – und sie einfach neu denken?
Während die Wirtin und der Kaiser die vierte Wand brechen und sich quasi beieinander die Ohren vollheulen, dass sie nicht sie selbst sein können, verschwindet in der zweiten Hälfte plötzlich das Innere des Hotels am Wolfgangsee. Was passiert, wenn der Schein nicht mehr aufrechterhalten wird? Wenn Touristen in ihrem Urlaub keine “klassisch österreichische” Umgebung erleben?

Viel Gelächter, bisschen Gesellschaftskritik, Hollywood-reifes Bühnenbild.
Es wurde gelacht, geschmunzelt, der Kopf geschüttelt und laut applaudiert: Unabhängig von der Diskussion über Tradition und Kultur (wie sie politisch ja tagtäglich geführt wird), ist “Im weissen Rössl” ein genialer Abend für Newbies genauso wie eingefleischte Operetten-Fans. Die oben erwähnte “Disco im Kuhstall” war wohl mein absoluter Favorit der Inszenierung, mit vielen bunten Lichtern und Tänzer*Innen im hautengen Kuh-Anzug und Eutern an Pole-Stangen. Die gesamte Inszenierung hat sich angefühlt wie ein Hollywood Film – und genau so soll es sein.

Eine Besetzung der Sonderklasse!
Vor Vorstellungsbeginn überraschte Direktorin Lotte de Beer auf der Bühne mit einer wichtigen Durchsage: Ursula Pfitzner ist, kurz vor Beginn, am Weg zur Bühne erkrankt, spielt jedoch trotzdem. Es wurde um Nachsicht gebeten, falls eine kurzfristige Unterbrechung notwendig wäre. Die Tatsache, dass Pfitzner die gesamte Vorstellung Vollgas gegeben hat, keine Note falsch gesungen und alle Choreografien mitgemacht hat, sorgte letztlich für große Bewunderung und umso größeren Applaus. Jakob Semotan spielt den Zahlkellner Leopold mit so viel Herz, dass man bei jedem Liebeslied mitfühlt und bei seinem eifersüchtigen Ausbruch unangenehm berührt ist (Red Flag-Alert!).
Mit TV-Legende Harald Schmidt und unserem geliebten “Kaiser” Robert Palfrader in der Besetzung wurden sofort die Herzen aller Millennials, Gen X und Boomer im Publikum gewonnen. Denn wann sieht man sonst die Gesichter aus dem Fernsehen so persönlich, emotional und nah vor sich? Oscar Stocker spielt, immer wenn ich ihn auf der Bühne sehe, die lustigen Rollen und gibt ihnen genau das, was sie brauchen – egal ob als Piccolo im “weissen Rössl” oder als Mondkönig in “Die Reise zum Mond”.

Matthias Matschke (Wilhelm Giesecke) ist ein überzeugender Bundesdeutscher wie aus dem Bilderbuch. Nadja Mchantaf (Ottilie) spielt die Wannabe-Influencerin mit viel Überzeugung – ihre Chemie mit David Kerber (Dr. Erich Siedler) ist unvergleichlich. Letzterer liefert, ebenso wie Oliver Liebl (Sigismund Sülzheimer) eine stimmlich starke und nahbare Performance. Zusammengefasst: Ich habe absolut nichts zu jammern.