Das Kabarett, der erfolgreiche Underdog im Kulturbereich

Zweimal fünf und einmal zehn Jahre: Michael Niavarani feiert kleine Jubiläen mit seinen drei Bühnen. Eine davon ist ein Kind der Covid-Pandemie, die auch die sogenannte Kleinkunst massiv gespürt hat. Nicht zuletzt deshalb geht jetzt auch die IG Kabarett als Kämpferin für die Branche in ihr fünftes Jahr.  

Es ist wohl Michael Niavaranis längste On-Off-Beziehung, zumindest in bühnentechnischer Hinsicht: jene zu Viktor Gernot , den er 1988 im Alter von 20 Jahren kennengelernt hat. In den vergangenen dreieinhalb Jahrzehnten haben die beiden Kabarettisten immer wieder gemeinsame Sache gemacht, von „Gefühlsecht“ bis zu den „Zwei Musterknaben“. Jetzt stehen sie nach einer längeren Pause wieder nebeneinander auf der Bühne. 

Diesmal sind sie aber nicht alleine, sondern in Begleitung der drei Damen von Niavaranis Simpl-Ensemble, Katharina Dorian, Jenny Frankl und Ariana Schirasi-Fard , sowie der fünfköpfigen Band „Best Friends“. Und es wird zwar die gewohnten Sketches geben, aber die sind nur Beiwerk. Im Mittelpunkt des Abends stehen berühmte Schlager der 1950er und 1960er Jahre, die von den zehn Personen auf der Bühne intoniert werden.

Warum? Weil Niavarani und Gernot Lust dazu haben. 

Zu fünft singt es sich besser! (c) Schlageranfall

Und in Kenntnis ihres Stammpublikums können sie sicher sein, dass es auch zu diesem musikalischen Abend kommen wird. Auch wenn eben diesmal vor allem alte Schlager gesungen werden. Wie der Abend in etwa aussieht, davon kann man sich heute, am 30. Dezember, ab 20.15 Uhr in ORF 1 (oder schon ab jetzt bis 29. März 2025 in der TVthek) ein Bild machen. Aufgezeichnet wurde die Sendung in Niavaranis Globe, mit dem er heuer ein kleines Jubiläum gefeiert hat. Zehn Jahre ist es nämlich bereits her, dass der Shakespeare-Fan dieses Theater in der Wiener Marx-Halle eröffnet hat – zweimal übrigens, weil es nach drei Jahren abgebrannt ist (exakt 404 Jahre nach dem Original in London) und 2018 wiedereröffnet wurde.

Niavaranis Vereinigte Kabarettbühnen Wiens

Es blieb nicht bei diesem einen Theater, denn mittlerweile besitzt Niavarani fast schon die Vereinigten Kabarettbühnen Wiens. Vor fünf Jahren hat er das Simpl gekauft, in dem er bereits 1989 seinen ersten Auftritt hatte (er kennt die rot tapezierten Wände im Keller in der Wollzeile also fast so lange wie Viktor Gernot) und ab 1993 Künstlerischer Leiter war. Und weil aller guten Dinge drei sind, hat er im Sommer 2020 mitten in der Hochphase der Corona-Pandemie aus der Not eine Tugend gemacht und im Garten der Familie Schwarzenberg beim Belvedere das Theater im Park als Freiluftbühne quasi aus dem Boden gestampft, mit einer Vorbereitungszeit von gerade einmal zweieinhalb Monaten von der Idee im ersten Lockdown Mitte März bis zur Eröffnung am 1. Juli. Mitbegründer war, wie schon beim Globe, Georg Hoanzl, der durch seine Agentur seit Jahrzehnten Teil der heimischen Kabarettszene ist und erst vor kurzem selbst ein Jubiläum gefeiert hat: In der 2006 begründeten Hoanzl-Reihe „Der österreichische Film – Edition Der Standard“ ist die 400. DVD erschienen.

Das Theater im Park jedenfalls hat heuer seine fünfte erfolgreiche Saison absolviert, und der Spielplan für 2025 steht bereits fest. Natürlich wird auch Viktor Gernot wieder vorbeischauen, der in der Pandemie mit der Praterbühne ebenfalls ein Freilufttheater gegründet hat, gemeinsam mit den Casanova-Betreibern Martin Reiter und Harald Diem sowie Luftburg-Chef Paul Kolarik, allerdings nur für die Sommersaisonen 2021 und 2022. In dieser Zeit haben sie zahlreichen Kolleg*innen pandemiegerechte Auftritte ermöglicht. Nach rund 200 Vorstellungen mit 60.000 verkauften Tickets war allerdings Schluss.

Hohe Auslastung, wenig Förderungen

Größere Brötchen backen Niavarani und sein langjähriger Geschäftspartner Hoanzl: Im Theater im Park empfingen sie in den ersten vier Spielzeiten in 500 Vorstellungen eine halbe Million Besucher*innen. Die Sitzplätze wurden dabei von zunächst 1.000 auf 1.500 ausgebaut – auf Basis dieser Zahlen liegt die Auslastung bisher also jenseits der 80 Prozent, ebenso im Globe (550 bis 1.400 Sitzplätze) und im Simpl. Subventionierte Bühnen wie Burg- oder Volkstheater sind nicht so gut besucht.

Ein Sinnbild für die Kabarettszene: Halbnackt ohne Basissubvention, aber stabil und einfach am tun. (c) Schlageranfall

Aber man hat sich in der Kabarettszene daran gewöhnt, einerseits Besucher*innenmagnet zu sein (auch Stadtsaal, Kulisse oder Orpheum haben hohe Auslastungen), andererseits von der Kulturpolitik vernachlässigt zu werden. Was freilich nicht bedeutet, dass man diesen Zustand akzeptieren will. So haben Agenturchefin Julia Sobieszek und Kulisse-Betreiberin Alexa Oetzlinger Ende 2020 gemeinsam mit anderen Vertreter*innen der Szene die Interessensgemeinschaft Kabarett (IGK) gegründet. Der gemeinnützige Verein vertritt alle im österreichischen Kabarett tätigen Personen: Kabarettist*innen, Autor*innen, Regisseur*innen, Musiker*innen, Agenturen und deren Mitarbeiter*innen, Bühnenbetreiber*innen und auch Techniker*innen – denn eines darf man nicht vergessen: An jeder Person, die auf der Bühne steht, hängen mehrere weitere Jobs dran. Georg Hoanzl sprach 2020, als dies in der Corona-Krise Thema wurde, sogar von 30 Arbeitsplätzen pro kabarettschaffender Person.

Es gibt kein Sicherheitsnetz

Anlass für die Gründung der IG Kabarett war zwar die Corona-Pandemie mit ihren Lockdowns, die grundsätzliche Systemkritik galt aber bereits lange davor und gilt auch danach weiterhin: „Das österreichische Kabarett ist die einzige Kunstsparte Österreichs, die ohne Basissubvention wirtschaftet“, so die IGK. Sprich: Es gibt kein Sicherheitsnetz, sollte erneut eine Katastrophe wie Corona über die Branche hereinbrechen, die immerhin einen Brutto-Kartenumsatz von 43 Millionen Euro bei rund 7.500 Veranstaltungen pro Jahr vorweisen kann. Geholfen hat die öffentliche Hand in der Corona-Krise dann schon: Die Stadt Wien unterstützte neun Bühnen mit insgesamt 3 Millionen Euro, der Bund vergab 250.000 Euro an Nachwuchskabarettist*innen. Für die Zukunft fordert die IG Kabarett jedenfalls „eine Anerkennung des österreichischen Kabaretts als eigenständige, identitätsstiftende und publikumswirksame Kunstsparte und im Fall einer Krise, wie beispielsweise Covid-19, rasche und unbürokratische finanzielle Unterstützung“.

Pratersterne (c) ORF Hubert Mican

In Nicht-Krisenzeiten ist die heimische Kabarettszene allerdings auch ein bisschen stolz darauf, ohne Subventionen erfolgreich zu sein. Und auch wenn der Begriff „Kleinkunst“ vielleicht ein wenig abwertend klingen mag, fasst Hosea Ratschiller eigentlich die Haltung der Szene ganz schön zusammen: Auf die Frage, ob nun angesichts der Aufzeichnung der ORF-„Pratersterne“(neue Staffel ab 7. Jänner) im Roten Salon des Wiener Volkstheaters die Kleinkunst nun in der sogenannten Hochkultur angekommen sei, meint er nämlich schelmisch: „Wir kommen einer Einladung nach.“ 

Das heimische Kabarett fühlt sich also offenbar insgesamt gar nicht so unwohl in seiner Rolle als unabhängiger, erfolgreicher Underdog im Kulturbereich – zumindest, solange keine Krise die Existenz gefährdet.

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