„It’s a cultural divide„: Wer selbst das einfachste Symbol dieser Performance, nämlich Uncle Sam, nicht als politisches Statement versteht, WILL es einfach nicht verstehen.
Nach einer Analyse der Halftime-Show 2025 inklusive N-Wort (inzwischen gelöscht) und falschen Fakten in DerStandard, wird es Zeit für ein bisschen Hintergrundwissen. Deshalb hier alle Hintergrundinformationen, Referenzen und was ihr sonst so verpasst habt. Liebe Kolleg*Innen, we fixed it for you!
1. Samuel L. Jackson als “Uncle Sam” ist keine Karikatur
Die Darstellung eines Schwarzen “Uncle Sam” ist schon eine Gesellschaftskritik an sich. Dass Samuel L. Jackson die Halftime-Show regelmäßig unterbricht, zur Ruhe aufruft und klassische Stereotypen aufdeckt (“too loud, too reckless, too ghetto”) ist ein Wink mit dem Zaunpfahl auf den alltäglichen Rassismus gegen BIPOCS in den USA.
Eine zweite Anspielung dieses Schauspiels ist auf “Uncle Tom”. Basierend auf dem Roman “Uncle Tom’s Cabin” von Harriet Beecher Stowe (1852). Das Buch wurde u.a. aufgrund der unterwürfigen Darstellung von Sklaven massiv kritisiert (Onkel-Tom-Syndrom) und war gleichzeitig ein wichtiger Bestandteil der Sklavenbefreiung in den USA. Es ist eine geschichtliche Anspielung auf jene Afroamerikaner, die sich gegen ihre eigene Kultur gewendet haben, um den amerikanischen Patriotismus zu unterstützen. (Weshalb “Uncle Tom” auch oft als Schimpfwort verwendet wird.) Quelle: Harriet Beecher Stowe Center

2. “The revolution ‘bout to be televised. You picked the right time but the wrong guy!”
Gil Scott-Heron veröffentlichte 1971 das satirische Gedicht “The Revolution Will Not Be Televised”, das zur Hymne des Black Liberation Movements (1960/70er Jahre in den USA) wurde. Das Gedicht ist voller politischer und kultureller Referenzen, relevant für die Revolution der damaligen Zeit – und für die heutige politische Situation der USA. Quelle: Library of Congress, National Civil Rights Museum
3. The Colors of Freedom: Choreografie, Bühne & Kostüm
Kendrick Lamar ist bekannt für seine Kritik am Justiz- und Politischen System der USA. Auch die Choreografien der Tänzer*Innen, die Bühne sowie die Outfits spiegeln diese Kritik wider.
“Mass incarceration is a network of policing, prosecution, incarceration, surveillance, debt, and social control that is rooted in, builds upon, and reproduces economic and racial inequality and oppression.” (Quelle: Institute to end mass incarceration)
Die Outfits der Tänzer*innen spiegelten außerdem die Farben der USA-Flagge. Spätestens während “Humble” war klar: Das ist Absicht. “Be Humble, Sit Down” zu rappen, während der Präsident der Vereinigten Staaten im Publikum sitzt, ist eine direkte Message.
Und es ist nicht das erste Mal, dass Kendrick Lamar seine Auftritte so nutzt: 2016 war es noch offensichtlicher, als Kendrick z.B. die Bühne der Grammys verwendete, um auf die Ungerechtigkeit des Rechtssystems hinzuweisen. Er performte in einer Gefängnisuniform – und wurde zensiert – der Auftritt ist bekannt als eine der besten Grammy-Performances EVER. (Quelle: The Hill, Rolling Stones)

4. “40 acres and a mule, this is bigger than the music”
Nach dem Bürgerkrieg in den USA 1865 wurde ehemals versklavten Afro-Amerikaner*Innen “40 acres of Land” versprochen – inklusive der Maultiere (“mules”), die von der Armee zurückgelassen wurden. Allerdings wurde dieses Versprechen von Präsident Andrew Johnson ein Jahr später zurückgezogen. (Quelle: PBS LearningMedia)
5. „They tried to rig the game, but you can’t fake influence.”
Zu diesem Satz gibt es mehrere Interpretationsmöglichkeiten. Im Umkreis der “The Chiefs”-Fans gab es eine sehr populäre Theorie, dass die Ergebnisse des Superbowls “geriggt” seien. Allerdings war während dem Spiel schnell klar, dass der Sieg der Eagles nicht durch Manipulation erreicht wurde. Dieser Satz von Kendrick bezieht sich eher auf die Präsidentschaftswahlen – oder auf die Ergebnisse der Gerichtsverhandlungen rund um Drake. Zugegeben, das ist viel Spekulation und Hintergrundwissen. Allerdings wurde der Satz in der Show zu prominent hervorgehoben, um irrelevant zu sein… (Quelle u.a. Athlon Sports Mag)
6. Serena Williams & “Crip-Walking”
Serena Williams ist, wie Lamar auch, aus Compton – einer Stadt mit viel HipHop-Geschichte. Ihr Auftritt während “Not Like Us” ist ein direkter Diss auf ihren Ex-Freund Drake (zusätzlich zu den Lyrics des Liedes, obviously). Dass Serena zusätzlich dazu den C-Walk vor laufender Kamera tanzt, ist ein Protest in sich: Denn ihre Herkunft und “Blackness” wurde schon öfter medial aufgegriffen, um ihren Erfolg zu diskreditieren (tricky, bei vier olympischen Goldmedallien). Auf Social Media sagt sie selbst: Hätte sie den Move beim Wimbledon gebracht, wäre sie abgemahnt worden. (Quelle (u.a.): TIME Magazine, urban dictionary)
Was ist der “C-Walk”?
“Crip Walking” (oder C-Walking) ist eine Abfolge von Schritten, die von den “Crips”, einer Gang aus LA, entwickelt wurde. Ursprünglich wurde der C-Walk verwendet, um Buchstaben, Namen oder spezielle Begriffe mit den Füßen zu “schreiben”. Es gibt verschiedene Entwicklungen und Abwandlungen des Tanzschritts und inzwischen ist er ein wesentlicher Bestandteil der HipHop-Kultur.

7. Die Musikauswahl: Vorhersehbar und voller politischer Statements
Entgegen der Behauptung des Standard-Journalisten, ist “TV OFF” nicht die „inoffizielle Hymne Comptons”. Und auch die Auswahl der Lieder ist nicht überraschend – immerhin hat Kendrick Lamar im November erst sein Surprise Album gedroppt, während “Alright” schon vor 10 Jahren erschienen ist.
8. “Not Like Us”: Anklage gegen UMG (nicht Kendrick) & bewusste Zensur beim Superbowl
Laut Drake verbreitet die gemeinsame Plattenfirma UMG mit Kendricks “Not Like Us” einen “Song voller Lügen und betreibt Rudschädigung”. Während Drake und Kendrick mit ihrer Musik einen persönlichen Streit austragen, sieht Drake die Plattenfirma in der Verantwortung – und nicht den Song oder Kendrick selbst.
“Throughout his career, Drake has intentionally and successfully used UMG to distribute his music and poetry to engage in conventionally outrageous back-and-forth ‘rap battles’ to express his feelings about other artists. He now seeks to weaponize the legal process to silence an artist’s creative expression and to seek damages from UMG for distributing that artist’s music.” (Statement von UMG)
Dementsprechend wurde der Satz “Certified Pedophile” bei der Halftime Show nicht aufgrund einer (möglichen) Klage ausgelassen, sondern eher aufgrund einer möglichen Zensur im amerikanischen Fernsehen. Denn wenn Angst vor einer Klage da gewesen wäre, hätte er den Song nicht gespielt. Abgesehen davon kannte jeder im Stadion den Text – das lautstarke Singen von “A MINOR” war dafür Beweis genug.

9. Genug Symbolik und politische Statements für ein Studiensemester
Neben allen gelisteten Themen, Statements und Symbolen gab es natürlich noch viel mehr. Teilweise sind es Dinge, für die ein detailliertes Backgroundwissen notwendig ist. Anderes benötigt nur eine kurze Suche auf Google oder Wikipedia (letzteres bitte trotzdem nie als tatsächliche Quelle nehmen). Hier noch eine Auswahl an Dingen, die sonst im Stream zu sehen sind:
Die von einem Tänzer gezeigte Palästina-Flagge war, soweit bekannt, nicht von Kendrick oder seinem Team geplant. Es passt nicht in die sonst sehr konkrete Symbolik des Auftritts.
Kendrick’s „a“-Kette kann zwei Bedeutungen haben: Entweder es ist eine Anspielung auf die Zeile “A Minor” in “Not Like Us” (unwahrscheinlich). Oder es ist ein Teil vom Logo seines Labels und seiner Firma pgLang (wahrscheinlicher).
“WARNING WRONG WAY”: Während der Performance wurden regelmäßig “Licht-Worte” ins Publikum “geschrieben”. Einmal war “Warning Wrong Way” zu lesen. Eine eindeutige Referenz auf die aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklung in den USA und die Präsidentschaftswahlen.
Noch mehr Symbolik könnt ihr hier nachlesen.
10. “I get on their Ass. Yeah, somebody gotta do it!”
“Dass er gern den Leuten auf den Arsch geht (steht so im Songtext!)” ist ebenso eine falsche Übersetzung und Fehlinterpretation wie die Sache mit der Klage und Zensur. Denn der Songtext zeigt lediglich: Irgendwer muss ihnen am “Arsch” gehen, sonst ändert sich nichts. (Und sagt auch nicht, dass er es gerne macht.)
Zusätzlich war es der erste Einzelauftritt eines Rappers. Unabhängig von der Hautfarbe. Übrigens hat Kendrick in seiner Show das N-Wort kein einziges Mal verwendet – aber österreichischer Kulturjournalismus ist einfach anders (oder so).