Ein Wort, das wohl eher selten in einem Satz mit dem Komponisten Richard Wagner gemeinsam verwendet wird, ist „Feminismus“. Er ist ein sehr kontroverser Komponist: Seine politische Einstellung und sein Leben bieten so viel Stoff, dass über ihn wahrscheinlich schon mehr geschrieben wurde als über sonst einen seiner Kollegen. Trotzdem ist seine Musik so beeindruckend, dass wir zum zweiten Mal in Folge einen „Hit“ dieses bekannten Komponisten zum Track der Woche auserwählt haben: den Ritt der Walküren (1851).
Hollywoods „männliche“ Interpretation
Der Walkürenritt ist das Orchestervorspiel zum dritten Akt der Oper „Die Walküre“. Es ist eines der wohl bekanntesten Werke Richard Wagners, vor allem aufgrund der häufigen Verwendung in Hollywood-Filmen. Der Stummfilm „The Birth Of A Nation“ (1915, ursprünglich „The Clansman“) war sozusagen der erste Blockbuster und auch der Erste, der Wagners Walkürenritt für sich nutzte. Ein Film, der White Supremacy propagiert und Rechtsextremismus verherrlicht. Warum wir ihn überhaupt erwähnen? Er gilt heute noch als eines der einflussreichsten Werke der amerikanischen Filmgeschichte, unter anderem aufgrund der verwendeten filmtechnischen Innovationen. Außerdem veränderte er die Wahrnehmung von Wagners Komposition nachhaltig. Ab diesem Moment wurde der Walkürenritt hauptsächlich eingesetzt, um Gewalt und Krieg aufzuzeigen. Hier einige Beispiele für diese These:
– Apocalypse Now (1979) – die Szene wurde übrigens direkt in Episode 6 des Animes „Gate – Thus the JSDF Fought There!“ übernommen
– The Blues Brothers (1980)
– The Valkyrie (2008) – vor allem relevant ab Minute 02:21
– Watchmen (2009)
Wer oder was sind die Walküren?
Prinzipiell ist die Geschichte der Walküren einfach. In der nordischen Mythologie sind es mindestens 13 geisterartige Wesen. Sie sammeln all jene ein, die einen ehrenhaften Tod am Schlachtfeld gefallen sind, um sie in den Götterpalast Walhall zu bringen. Bei Wagner handelt es sich um neun Schwestern (Brünnhilde, Siegrune, Waltraute, Ortlinde, Roßweiße, Schwertleite, Gerhilde, Grimgerde und Helmwige). Sie sind alle Töchter des Gottes Wotan (mit jeweils verschiedenen Frauen).
Was passiert eigentlich genau? Brünnhilde zieht den Zorn Wotans auf sich, weil sie sich weigert seinen Anweisungen zu folgen. Um die ganze Geschichte kurz zu machen: Zuerst wird sie von Wotan beauftragt, einen Mann, Siegmund, zu schützen. Dann ändert er allerdings seine Meinung und befiehlt ihr, Siegmund sterben zu lassen. Sie weigert sich, worauf Wotan ihn selbst umbringt und Brünnhilde gemeinsam mit Siegmunds schwangeren Frau zum Walkürenfelsen flüchtet. (Wagner – so viel Drama!)
Auf dem Walkürenfelsen, wie der Name schon sagt, treffen sich alle Walküren, um gemeinsam mit den aufgesammelten Helden nach Walhall zu ziehen. Was wir in Wagners Walkürenritt hören, ist die Ankunft dieser acht Walküren (Brünnhilde ist ja noch auf der Flucht). Die Walküren sind, vor allem bei Wagner, sehr beeindruckende Frauen in voller Rüstung, die auf fliegenden Pferden umher reiten. Eine göttliche Macht, die sich für und gegen jeden Menschen einsetzen kann.
Wagners Walküren sind allerdings mehr, als „nur“ neun mächtige Kriegerinnen in voller Rüstung auf fliegenden Pferden. Sie sind, kaum zu glauben, ein Symbol für den Feminismus. Die Walküren sind in ihrer Aufgabe verhältnismäßig frei. Jedenfalls freier, als es das Frauenbild zu Wagners Zeiten dem weiblichen Geschlecht erlaubte.
Ein Blick in die Vergangenheit: Deutscher Feminismus in den Kinderschuhen.
1849 lebte der 36-jährige Richard Wagner nicht nur in Dresden, sondern war an den deutschen Revolutionen mitbeteiligt. Während seiner Anstellung als königlich sächsischer Hofkapellmeister bestellte er Handgranaten für die Revolution. Nach dem Scheitern der Revolution floh er schnell und unbemerkt nach Zürich und entging seinem Todesurteil. Das Scheitern der Revolutionen hatte allerdings noch andere Folgen. So wurde Frauen „jegliche öffentliche Betätigung in politischen Fragen oder die Vereinsgründung zu solchen Zwecken“ untersagt (mehr dazu auch hier). Damals war es die Norm, dass eine Frau nur geringe Bildung erhält und von der Vormundschaft des Vaters in die des Ehemannes übergeht.
Einen Lichtblick gab es zu dieser Zeit jedoch schon. Die sächsische Journalistin Louise Otto-Peters gründete 1849 die erste Frauenzeitung im deutschen Raum und setzte sich für das Frauenwahlrecht ein. Selbst als ein neues Pressegesetz Frauen die Herausgabe und Mitredaktion an Zeitungen verbot, setzte Otto-Peters ihren Willen durch.
Walküren und Feminismus?
Die Walküren bei Richard Wagner sind, wenn auch wahrscheinlich unbeabsichtigt, Bilder dieser Zeit. Sie sind bis zu einem gewissen Grad eigenständig und haben einen freien Willen. Allerdings müssen sie sich den Befehlen ihres Vaters Wotan unterordnen. Brünnhilde ist diejenige, die sich Wotan widersetzt. Sie erachtet es als falsch, dass Siegmund sterben soll. Als er dann seinem Schicksal erliegt, flieht Brünnhilde mit der schwangeren Sieglinde und rettet ihr Leben. Zur Strafe will Wotan Brünnhilde dazu verfluchen, den ersten Mann dem sie begegnet zu heiraten. Brünnhilde sieht ihre Freiheit und Ehre gefährdet und findet einen Ausweg. Sie verhandelt mit ihrem Vater, dass sie sich auf einem Hügel schlafen legt, bis jemand sie „retten“ kommt.
Brünnhilde nimmt, ähnlich wie Louise Otto-Peters, ihr Schicksal selbst in die Hand und rettet so nicht nur ihr eigenes Leben, sondern wird unbewusst zu einem Bild für den Feminismus. Es kann natürlich auch sein, dass der zeitliche Kontext des Walkürenritts, der deutschen Revolutionen und der damaligen Frauenrechtsbewegung ein absoluter Zufall war. Vielleicht aber auch nicht.
Das neue Walhall?
Wagner erzählt die Geschichte der Walküren als eine Mischung der Nibelungensaga zusammen mit Figuren und Geschichten der nordischen Mythologie. Hollywood und auch die Politik hat daraus dann noch einmal etwas ganz anderes gemacht.
Nachdem der Walkürenritt 1915 von „The Birth of a Nation“ benutzt wurde, wurde das Potenzial des Stücks für Propagandazwecke entdeckt. Wagners Stück wurde zum Beispiel unter der Herrschaft des NS-Regimes als musikalische Unterlegung für Wochenschauaufnahmen des Krieges verwendet. Sei es bei Aufnahmen der Luftlandesschlacht um Kreta oder der Berichterstattung über den Bombenangriff der Bahnstrecke Sankt Petersburg-Moskau: der Walkürenritt begleitete diese Ereignisse. Aber nicht nur die Nationalsozialisten, auch die japanische Kriegspropaganda nutzte Wagner während des Zweiten Weltkrieges für sich. Sie setzten den Walkürenritt bei der filmischen Dokumentation zur Eroberung Indonesiens ein.
Die Verwendung des Walkürenritts für Propagandazwecke ist nicht weit hergeholt. Immerhin war Wagner zu seiner Zeit politisch sehr aktiv und war sogar Teil einer Revolution (dazu ein anderes Mal mehr). So wurde aber das Stück für immer in eine gewisse Schublade gesteckt. Auch heute noch wird es oft mit dieser Zeit assoziiert und in Videospielen und Filmen für Angriffsszenen und Kriegsdarstellungen verwendet.
Emotion, Emotion und noch mehr Emotion
In Hollywood (und auch generell) wird Filmmusik dazu verwendet, die emotionale und narrative Ebene zu unterstützen. Stellt Euch vor es würde keine Musik spielen, wenn der Hobbit Frodo in Mordor herumkriecht, um endlich den verfluchten Ring zu zerstören. Die Szene wäre unfassbar langweilig und würde uns noch länger vorkommen, als sie sowieso schon ist. Conclusio: Es braucht die Filmmusik – und Wagner hat sie von Anfang inspiriert.
Der Musikkritiker Alex Ross hat eine ordentlich recherchierte Bestandsaufnahme zu Wagners Einfluss auf die Filmmusik erstellt. Laut Ross verwenden mehr als 1.000 Filme seit dem Stummfilm „The Birth of a Nation“ aus 1915 Wagner als Filmmusik. Seitdem wird Wagners Musik zwar als Hymne der „Befreier“ benutzt und jede Weiblichkeit der Walküren ignoriert, aber sein Einfluss auf die Branche macht das vielleicht sogar wieder wett. Denn ohne unter anderem Wagner hätten wir nicht die Filmmusik, die wir heute kennen.