La Rondine – Volksoper ** Die neuen Locken Wiens

Wie eine Holländerin die Opernszene mit ihren feministischen Produktionen umkrempelt.

Der alte weiße Mann ist Geschichte. Er hat sein letztes Kapitel geschrieben. Sogar wortwörtlich in der Puccini-Oper La Rondine an der Volksoper Wien. Es geht um Emanzipation im großen Stil, Humor und Nachhaltigkeit im Opernbetrieb, denn:

Lotte De Beer krempelt um! Selbstbestimmung! Gleichberechtigung!

Die Intendantin überzeugt nicht nur mit ihrer Lockenpracht, sondern sorgt vor allem mit ihren neu aufgezogenen, frauenfreundlichen Inszenierungen für großes Aufsehen in der Opernwelt.

Sie ist frei! (c) Barbara Pálffy

Recycling & Nachhaltigkeit: Ein Sammelbecken aus Puccinis tragischen Femiziden

Jetzt wird‘s ernst – es setzt sogar die Oper auf Nachhaltigkeit! So fulminant wie das Bühnenbild in der Volksoper zu sehen ist, käme man nicht auf die Idee, dass etwa 90% der Requisiten aus vorherigen (nicht nur hauseigenen) Opernproduktionen stammen. Mit fleißiger Wiederverwendung von Kostümen und Bühnenelementen ist die Volksoper definitiv eine Vorreiterin in Sachen „grüne“ Oper und Nachhaltigkeit.

Die Vorstellung von “La Rondine” zeigt nicht nur eine breite Auswahl aus recycelten Bühnenobjekten, sondern ebenso eine Mischung aus einigen Puccini-Opern. Passt gut, denn schicksalhafte Frauenrollen ziehen sich gern durch Puccinis gesamtes Opernwerk und machen auch vor La Rondine keinen Halt. Man sieht Magda in dieser Inszenierung vieles machen, was man vielleicht schon woanders gesehen hat: Den tödlichen Sprung Toscas von der Engelsburg (aus der Oper Tosca), die liegende Haltung der sterbenden Mimi (La Bohème) und den imitierten Messerstich Madame Butterflys (Madama Butterfly). Doch eines bleibt letztendlich nur Magda vorbehalten: ihr eigenes, selbstgeschriebenes Ende. Plot Twist: Sie darf leben!

Giga-Schriftrolle und dezente Lichtershow

Der Bühnenvorhang hebt sich und mitten im Bühnenbild hängt eine überdimensional große Schriftrolle.. Da die Originalsprache des Librettos Italienisch ist, werden auf dieser Schriftrolle zeitgleich zum Gesang der Darsteller:innen die gesungenen Textstellen in den Sprachen Deutsch und Englisch übertragen. Dass diese Textübertragung auf der riesigen Schriftrolle nicht nur dem Verständnis dient, zeigt sich allerspätestens, als Lisette beginnt, ihre Geschichte selbst zu schreiben. Während sie versucht, Prunier von der Schreibmaschine zu zerren, färbt sich der Bühnenraum in warmem, rotem Licht und ihre krakelige Schrift erscheint auf der Papierrolle. Aber sobald Pruniers ordentliche Schrift wieder die Oberhand gewinnt, schwingt auch das Licht wieder in kalte Blautöne um. Dieses Lichtspiel macht es trotz aufbauschender Handlung sehr einfach, dem Spektakel zu folgen. Bei jedem von Lisettes Versuchen, die Schreibfeder zu übernehmen, fiebert man einfach mit.

Wer dichtet was? (c) Barbara Pálffy

Joel statt Puccini: Ein neuer Schluss für das Werk zwischen Oper und Operette

Wer hofft, in einer Puccini-Oper nur Musik von Puccini zu hören, wird spätestens am Ende gehörig überrascht! Unter der musikalischen Leitung von Alexander Joel spiegelt das Orchester die Wendung des Librettos mit einer Neukomposition des Dirigenten wider. Seine eigens für diese Inszenierung komponierte Coda schaukelt die Handlung musikalisch bis zum Ende hoch. Wer also etwas Flexibilität mitbringt, kann sich bei der Inszenierung von La Rondine an der Volksoper Wien auf einen humorvollen und neu gedachten Abend mit einigen innovativen Details freuen!

Knister*Wissen: Eine Coda ist sozusagen ein Schlussteil eines Musikstücks. Der Begriff wird auch gerne in der populären Musik verwendet.

Über den Charakter von La Rondine muss auch noch was gesagt werden, als generelle Warnung: Von wegen Oper! Schon zu Puccinis Lebzeiten hatte dieses Werk einen ordentlichen Schwung an “Operettenhaftigkeit”, mit der man auch bei der Vorstellung in der Volksoper beglückt wird. Gesungen wird nicht außergewöhnlich hervorragend und auch nicht nennenswert schlecht: alles in Allem ein solides „Gut“.

Fazit mit Revolte

Ein neues Zeitalter ist angebrochen. Und ganz vorne dabei: Lotte De Beer. Als eine von uns nimmt sie die Volksoper an der Hand und kehrt den festgefahrenen, patriarchalen Regeln der Opernwelt den Rücken zu. Sie führt das Opernhaus auf ihrem neuen Weg in eine revolutionäre, feministischere und jüngere Zukunft. Zeit war’s! 

Ein abgelegenes Hotel an der Côte d’Azur… (c) Barbara Pálffy

La Rondine – Was passiert?

Das Dienstmädchen Lisette (Rebecca Nelsen) erkennt, wie sie vom Dichter Prunier (Timothy Fallon), der gleichzeitig ihr Liebhaber ist, als Marionette hin- und hergeschoben wird. Er möchte ein möglichst dichterisch intellektuell klingendes Libretto schreiben, in dem Lisette und die Kurtisane Magda (Verity Wingate) eine große Rolle übernehmen sollen. 

Knister*Wissen: Als Libretto bezeichnet man den gesprochenen Text einer Oper(-ette) – also eigentlich die Lyrics!

Magda genießt ihr Leben als reiche Hofdame, träumt aber immer wieder von der wilden, abenteuerlichen Liebe. Die Abhängigkeit von ihrem Finanzier Rambaldo (Pablo Santa Cruz) bietet ihr zwar einen komfortablen Lebensstil, untersagt ihr aber das Finden ihrer wahren Liebe. So besucht sie heimlich ein Tanzetablissement und lernt dort, als als „einfache“ Frau verkleidet, den Studenten Ruggero (David Junghoon Kim) kennen. Trotz der Vorahnung Ruggeros, dass Magda ihm etwas verheimliche, tauchen die beiden unter und träumen von einer Hochzeit an der Côte D’Azur. Ihre Schuldgefühle übermannen Magda schließlich, sodass sie Ruggero von ihrer Vergangenheit als Kurtisane erzählt und ihn schweren Herzens verlässt. So würde die Geschichte zumindest aussehen, wenn Prunier sie schreiben würde.

Dass mit ihm als Verfasser jedoch nur eine weitere klassische weiße-Mann-Geschichte produziert wird, in der misogyne Vorurteile und Klischees nur so herumpurzeln, gefällt Lisette absolut nicht. Es braucht einige Anläufe, bis ihr der Versuch gelingt, zumindest teilweise ihr eigenes Schicksal und das ihrer Vorgesetzten Magdalena zu schreiben.

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