Ein spannender Abend über Moral, die für Geld sofort verschwindet, denn “it’s just business”. Da wird auch gleich die verstorbene sowie die lebende Familie unter den Bus geworfen… „Nachtland“ in den Kammerspielen Josefstadt.
Hard Facts:
Dauer: 1 Std 25 Min
Autor: Marius von Mayenburg; Regie: Ramin Gray; Schauspieler*innen: Martina Ebm, Oliver Rosskopf, Silvia Meisterle, Roman Schmelzer, Susa Meyer; Bühne & Kostüm: Johannes Schütz; Dramaturgie: Matthias Asboth;
Worum geht’s?
Die Geschwister Nicola und Philipp räumen den Nachlass ihres Vaters auf. Dabei finden sie ein Gemälde, das möglicherweise von Adolf Hitler stammt. Eine Debatte entflammt: Soll das Bild behalten oder verkauft werden? Eine Expertin wird befragt: Es ist tatsächlich ein Hitler-Original und kann für viel Geld verkauft werden. Unter der Voraussetzung, dass eine nationalsozialistische Vergangenheit tatsächlich nachgewiesen werden kann. Auf einmal ergibt sich die merkwürdige Situation, dass die Familie sich mit Nazi-Erinnerungen und Verbindungen überschlägt, während sie vorher stolz erklärten, dass sie keine nationalsozialistische Vergangenheit in der Familie haben. Was man für Geld nicht alles tut…
Eine leere Wohnung vollgestopft mit fragwürdigen Aussagen
Alles spielt sich auf der Bühne in der bereits leeren Wohnung des Vaters. Die familiäre Konstellation wird schnell klar: Die strikte Tochter, die den Vater vor seinem Tod noch pflegte und andauernd alle darauf hinweist, was gesagt wird und welche Entscheidungen getroffen werden. Ihr Bruder, der sich schnell unterordnet und seine Prinzipien sowie seine jüdische Frau schnell hinter sich lässt, um das Geld des Gemäldes einstreichen zu können. Die einzige, die sich gegen den Verkauf ausspricht ist Philipps Frau, deren jüdische Herkunft auf einmal ihr einziges Merkmal zu sein scheint – sie stößt damit gegen eine harte Front in der Familie.
Wenn man lachen und weinen will
Das schnelle hin und her in den Gesprächen ist sehr unterhaltsam, wobei einem gleichzeitig das Lachen im Hals stecken bleibt. Wie alle Prinzipien der Familie für Geld über Bord geworfen werden und die ursprünglich nicht vorhandene Nazi-Vergangenheit der Familie plötzlich sehr detailliert und mit immer mehr Details ausgeschmückt wird. Wie anstrengend und schwierig es für Judith ist, sich gegen diese Front aus eingespielten und unreflektiert anti-semitischen und rassistischen Aussagen zu behaupten. Judith befindet sich plötzlich in der Mitte aller Diskussionen und wird von der Familie dazu aufgefordert, für alle Jüdinnen und Juden zu sprechen (was sie allein emotional gar nicht kann oder will). Der Abend endet schließlich in einem aberwitzigen Gespräch zwischen ihr und einem potentiellen Käufer des Gemäldes.
Das Werk vom Künstler trennen?
Die Diskussion um die Trennung von Werk und Künstler*innen ist spannend zu verfolgen und regt definitiv zum Nachdenken an. Wie viel Kontext braucht ein Kunstwerk? Insgesamt ist es eine gelungene Inszenierung mit einer angenehmen Länge. In einigen Punkten hätten die Diskussionen und Behandlungen verschiedener Themen auch intensiver sein können, teilweise war es dann doch sehr schnell vorbei – wobei es das ja auch wieder angenehm kurzweilig gemacht hat. Die Versuche, sich zu rechtfertigen, werden teilweise zu Monologen, aber das spannendste war definitiv der finale (verbale) Schlagabtausch zwischen (jüdischer) Ehefrau und Käufer.
Absolute Empfehlung meinerseits, unbedingt anschauen!