Psyche – Theater an der Wien ** Viel Drama, Barock & römische Götter

Pluto, Jupiter, Venus. Nein, nicht die Planeten. Die Götter! Mit “Psyche” stand im Theater an der Wien eine Reise in die Vergangenheit am Spielplan. Allerdings etwas weiter zurück als gewohnt, denn im Gegensatz zu anderen Opern spielt dieser Abend im antiken Rom, umgeben von Drama, Drama und noch mehr Drama. 

Normalerweise sind Handlungsstränge von Opern recht gut zu durchschauen. Frau liebt Mann #1, Mann #2 ist dagegen, Frau und Mann #1 kommen zusammen, Frau stirbt. Bei “Psyche” wird das Ganze etwas komplizierter. Immerhin stammt die Basis für die Oper, der Mythos Eros und Psyche, wahrscheinlich vom römischen Dichter und Philosophen Lucius Apuleius im 2. Jahrhundert nach Christus. Da hatten sie noch ein bisschen mehr Fantasie… vielleicht auch zu viel. 

Worum geht’s? (Ein Versuch)
Psyche wird für ihre Schönheit verehrt. Ihre zwei Schwestern sowie die Göttin Venus sind eifersüchtig und wollen sie dafür umbringen (oder in die Hölle verfrachten, same/same). Venus besticht den Gott Apollo, Psyche für ihre Schönheit zu bestrafen (“Schönheit ist stärker als jeder Wille”), Apollo lässt sie in die Wüste schicken um eine Riesenschlange zu heiraten (?). Die Luftgeister des Gottes Cupido retten sie und bringen sie in Cupidos Schloss. Cupido + Psyche = Liebe auf den ersten Blick. Psyche wird noch ausgetrickst, landet in der Hölle, wird quasi befreit, ihre Schwestern unten eingesperrt (for eternity!!), sie kommt zurück zu Cupido. Happy End!

KISS: Keep it simple (& short…)

Psyche” hat die Länge einer Oper und die Verständlichkeit der (alt-)griechischen Odyssey. Neben der “normalen” Handlung gibt es da noch ein Liebespaar das sich umbringt, ein anderes das um sie trauert bevor sie sich ebenso in den Tod stürzen, zwei Prinzen die Psyche retten wollen (und scheitern) und Zyklopen die ein Schloss bauen …ich bin auch nicht ganz mitgekommen. 

Die Oper wurde konzertant aufgeführt. Das bedeutet, es gibt kein Bühnenbild, keine Kostüme und keine Schauspielerei. Schade, wenn ihr mich fragt – allerdings hätte man bei der komplexen Handlung wahrscheinlich mindestens 20 Bühnenbilder und 200 Kostümwechsel benötigt. Also vielleicht auch besser so. Die wichtigsten Personen, Cupido und Psyche, sind stumme Akteure der Oper. Die ganze Welt dreht sich zwar um sie, aber man hört nur alle Personen in ihrem Umfeld.

Disclaimer: Im Nachhinein betrachtet ist die Handlung gar nicht so komplex. Während der Aufführung hat das ehrlicherweise noch ganz anders gewirkt.

Über die Übertitel wird deshalb, neben der laufenden Übersetzung von gesungenen Texten, zusätzlich die aktuelle Handlung und die Szene/der Ort beschrieben. Ich hätte mir hier tatsächlich eine*n Erzähler*In gewünscht, die eben diese Sätze einfach vorliest. Quasi wie eine Gute-Nacht-Geschichte, aber mit Mittelaltermusik, fettem Orchester und lauter schönen, starken Stimmen. Natürlich hat es auch ohne Erzähler*In funktioniert – wobei es doch einige verwirrende Momente gab, in denen die Übertitel hinterher waren und man wichtige Informationen wie z.B. den Beisatz “IN DER UNTERWELT” nur für eine kurze Sekunde lesen konnte.

Klingt so Musik aus dem Mittelalter? 

Während die Handlung verwinkelt ist und man währenddessen regelmäßig den Überblick verliert, überzeugt die Musik: Cembalo, Mini-Orgel, Trompeten, Pauken, Triangel, Geigen, Oldschool-Cello und weirde Blasinstrumente: Die Musik von Matthew Locke hört sich an, als würde man in einer mittelalterlichen Burg sitzen und den neuesten Kompositionen des Hof-Musikers lauschen. That being said: Kostüm-technisch wurde hier eine Chance verpasst. Just saying

Spaß beiseite: Musikalisch war das ein toller Abend. Dirigent Sébastien Daucé hat das Ensemble Correspondances und alle Beteiligten mit so viel Euphorie durch den Abend geleitet, dass es eine Freude war, dabei zuzusehen. Auch das Orchester hatte Spaß an der Sache, wenn man das “Mitwippen” mancher Musiker*Innen so deuten darf. 

„Psyche und Cupido“ – jedenfalls so, wie die KI sie sehen würde.

Englisch in einer Oper ist einfach not the best. 

Auch gesanglich war der Abend sehr überzeugend. Es ist sicher nicht leicht, eine Oper auf Englisch zu singen, denn die Sprache ist überhaupt nicht für diese Art von Musik gemacht. Weder die Betonung noch die Aussprache helfen beim Verständnis und es hat einen guten Grund, warum die meisten Opern in “harten” Sprachen wie Deutsch, Italienisch, Ungarisch oder Slowenisch verfasst sind (Französisch ist wieder ein anderes Thema tbh). 

Eben das war auch das Problem der Sänger*Innen, speziell zu Beginn der Aufführung: Denn ohne Übertitel hätte ich tatsächlich nur wenig verstanden. Allerdings kommt man nach einer kurzen Eingewöhnungsphase in den Rhythmus und versteht die komisch ausgesprochenen Worte im Kontext. Abseits der Betonung – eine unfaire Geschichte, wer kommt auch auf die Idee eine Oper in Englisch zu schreiben – waren die Sänger*innen des Abends bravourös. Mir ist Lucile Richardot (Mezzosopran) besonders positiv aufgefallen, die, neben gewaltiger Stimme und Ausstrahlung, eine unfassbar klare Betonung geschafft hat. Paul-Antoine Benos-Djian (Countertenor) hat mit seiner klaren, emotional geladenen Stimme überrascht, die tiefen Töne von Tristan Hambleton (Bassbariton) hat man bis in die Zehen gespürt. Doch auch Etienne Bazola, Ilia Mazurov (Bass), Vojtech Semerad (Countertenor), Oscar Golden Lee, Randol Rodriguez, Ryan Veillet (Tenor), Élodie Fonnard, Eugénie Lefebvre, Blandine De Sansal und Caroline Weynants (Sopran)  haben eine bewundernswerte Performance an den Tag gelegt. 

Für mich war der Liebes-/Trauer-Kanon die schönste Stelle. Ein Liebespaar nimmt sich das Leben, ein anderes Paar trauert um sie – bevor auch sie sich das Leben nehmen. Auch wenn er Handlungs-technisch null Sinn hatte, allein für die Schönheit hat er seinen Platz in der Oper verdient.

“Ohne Liebe hätte das Leben keinen Sinn.” 

Was klingt wie ein kitschiger Tagebucheintrag eines sehr melancholischen Teenagers ist die “Moral von der Geschichte” am Ende der Oper. Und irgendwie stimmt es ja auch. Ohne die Liebe würde der Märchenprinz nicht den Drachen töten. Der König würde nicht in den Krieg ziehen, der Ehemann nicht vom Krieg nach Hause kommen. Ohne die Liebe als Motivation, egal ob platonisch oder romantisch, würden wir unser Leben ganz anders entscheiden

Natürlich bräuchte es das leicht belehrende Ende nicht. Schön ist es trotzdem, besonders wenn es von allen Anwesenden im Kanon gesungen wird. Denn egal wie absurd die Handlung auch sein mag, die Moral am Ende muss einfach sein. Wie sollen wir denn sonst wissen, was wir aus so einem Abend lernen sollen? 

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