Sie sagt. Er sagt. – Kammerspiele Josefstadt ** Gerichtsverhandlung, offene Wunden & Opferrolle

Wie eine Gerichtsverhandlung eine Vergewaltigung steril darlegt.

Trigger Warning: Das Hauptthema im Stück ist sexuelle Gewalt und die Offenlegung der Gerichtsverhandlungen. Bitte lest die Review mit entsprechender Vorsicht und achtet auf eure mentale Gesundheit!

Worum geht’s?

„Sie sagt. Er sagt.“ in den Kammerspielen der Josefstadt.
Uraufführung, Dauer: 1 Std 55 Min / Ferdinand von Schirach (Anwalt aus Deutschland)
Regie: Sandra Cervik; Bühne: Walter Vogelweider; Kostüme: Birgit Hutter; Dramaturgie: Silke Ofner; Video: Jan Frankl

Eine Frau wurde vergewaltigt und sie hat den Täter angezeigt. Entsprechend wurde Anklage gegen ihn erhoben und der Tag der Hauptverhandlung beginnt. Was bedeutet das? Die Frau, die im Gericht “Die Geschädigte” genannt wird, erzählt ihre Geschichte, wird ausgefragt, hinterfragt und mit diversen Beweisen konfrontiert. Ebenso sprechen vor Gericht die Ermittlerin, Sachverständige der Medizin und Psychologie, die ebenfalls von Richterin und Anwält*innen befragt und hinterfragt werden. 

Durch die verschiedenen Aussagen dreht und wendet sich die Interpretation der Anklage, die vor Gericht verhandelt wird, immer wieder.

Sie sagt Er sagt (c) Moritz Schell

Das perfekte Opfer?

Es ist eine Geschichte, bei der sich viele Opfer wiederfinden: Sie kannte den Täter sehr intim. Sie hatten über viele Jahre eine Affäre. Sie muss ihre Vergewaltigung vor allen Leuten erzählen, sehr detailliert – das Gericht bedauert dies, “Das muss leider sein”. Wie es ihr dabei ergangen ist, was ihre Gedanken waren, was danach passiert ist. 

In dieser Hinsicht besonders relevant ist die Aufklärung der psychologischen Sachverständigen bezüglich Vergewaltigungsmythen: Vorurteilen, die widerlegt worden sind, aber dennoch in der Gesellschaft ihre Runden machen und die Vorstellung des “richtigen Opfers” weiter manifestieren: Wie Frau sich verhalten *sollte* oder *müsste*, damit sie glaubwürdig erscheint. 

Sie sagt Er sagt (c) Moritz Schell

Wem wird geglaubt?

Immer wieder versucht die Verteidigung ein Rachemotiv auszulegen.Sie habe sich alles penibel zurechtgelegt, um ihrer ehemaligen Affäre zu schaden, da er sich getrennt hat. Währenddessen interveniert und widerlegt ihr Anwalt immer wieder die Versuche der Verteidigung. 

Als Zuschauer*in ist es sehr befriedigend, diesem Zwischenschießen des Anwalts zuzuschauen, es lockert zwischendurch die doch sehr geladene Situation auf.

Die Szenerie im Gerichtssaal ist schließlich: Die Beteiligten der Ermittlung wissen bereits alles, was uns hier gezeigt wird. Für die Zuschauer*innen ist jeder Satz eine neue Offenbarung, ein neuer Grund, einer der Parteien weniger oder mehr zu glauben. Manchmal gibt es Aussagen, die für das Gericht und die Zuschauer*innen neu sind: das gemeinsame Erlernen von neuen Informationen. 

Sie sagt Er sagt (c) Moritz Schell

Das Sezieren der Wahrheit – aber welcher Wahrheit? 

Der Gerichtsraum ist sehr hell und die Beteiligten Parteien sitzen in einer Pyramide: Nebenklägerin und Angeklagter sitzen sich gegenüber in den vorderen Ecken der Bühne. An der Spitze der Pyramide sitzt die Richterin erhöht mit Blick auf den ganzen Raum.  

In der Mitte ist der heiße Stuhl: hier werden alle Aussagen im Gericht seziert.

Die Handlung wird von allen Seiten beleuchtet, alles wird unter dem Mikroskop untersucht. Aber es endet nicht mit einer Entscheidung des Gerichts: Wie dieser Prozess zu Ende gehen wird, ist offen. Die Zuschauer*innen bleiben mit ihren eigenen Eindrücken zurück und werden nicht von der Rechtsprechung erlöst. Man muss mit der unaufgelösten Situation dasitzen und sie aushalten…so wie so viele es jetzt schon tun müssen. 

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