Angestaubte Textcollage trifft im Theater am Werk auf geniale, visuelle Inszenierung.
„Wir haben keine Hauptfigur, nur Staub.“, stellen die Schauspielenden gegen Ende des Stückes fest und vermutlich gibt es keinen Satz, der “Staub” besser zusammenfassen könnte. Eineinhalb Stunden Staub zu thematisieren, wie es das Kollektiv Spitzwegerich in „staub … a little mindblown“ tut, wirkt nicht umsonst gewagt. Auf visueller und akustischer Ebene klappt das überraschend gut. Spätestens auf Inhaltsebene aber rächt sich die absolute Dezentralisierung von Figuren und Inhalt.
Staub als Collage
„Staub“ wird in Form von Textfragmenten und Wiederholungen erzählt, die sich übereinander schichten. Wenig überraschend heißt es deshalb: „Vielleicht können wir nur in Collagen über Staub sprechen, weil Staub eine Collage ist.“ Trotzdem lassen sich drei große Themenbereiche aus der Performance erkennen. Zum einen ist da die Sache mit der Care-Arbeit: die Reinigungskraft, die jeden Tag mehr als 17.000 Schritte geht, die Mutter am Land, die anfängt zu putzen, weil ein Bezugssystem fehlt und die Tochter, die genau dieser Angewohnheit nicht entkommen kann, obwohl sie gerne in feministischer Manier Putzlappen und Staubwedel aus ihrem Leben verbannen würde. Immer wieder wird auch das Motiv der Zeitschleife aufgegriffen. Die Wiederkehr des Staubes, wie ein Fluch à la „Täglich grüßt das Murmeltier.“ Und dann ist da noch die Sache mit dem Universum: Schließlich sind wir doch alle Sternenstaub. Spätestens hier wird es unweigerlich platt.
Etwas abgedroschen
Alles, was in „Staub“ erzählt wird, wurde bereits davor in zig anderen Kontexten ähnlich formuliert. Vielleicht nicht direkt auf den Staub selbst bezogen, das macht es aber nicht unbedingt innovativer. Schade – denn auch wenn sich der Rückgriff auf das Universum als Mittel für mehr Tiefe und Bedeutung längst abgearbeitet hat, wäre zumindest in Bezug auf Care-Arbeit, Putzen und Geschlechter-Klischees noch so einiges zu sagen. Oder man hätte sich einfach auf die Oberflächlichkeit einer Staubschicht eingelassen. Schnell weggewischt bedeutet ja nicht unbedingt für immer weg. Zeitschleife und so.
Zu Beginn: catchy
Dabei wirkt auch der Text in „Staub“ gerade am Anfang des Stückes gar nicht so banal. Radiostimmen mischen sich mit Musik- und Akustik-Elementen, von der Bühnendecke baumeln graue Putzkübel in ballett-ähnlicher Synchronität, am Rand liegt ein großes, graues Staub-Ungetüm, das wie aus dem nichts plötzlich gelbe Bällchen ausspuckt, die über die Bühne kullern, abstrakte Visualisierungen vermischen sich mit konkreten Textelementen. Zu diesem Zeitpunkt macht noch alles Spaß.
Zwischen ASMR und Partysounds
Und auch wenn der Text irgendwann schwächelt, überzeugen Bild und Ton durchgängig. Akustisch wird mit der Größe des Raumes gespielt, mal tönt es nur aus der Ecke, mal nimmt der Sound den ganzen Raum ein. Nasse Putzlappen werden im ASMR-Stil ausgedrückt, fetzige Elektrobeats treffen auf orgel-artige Musik, futuristische Klänge auf Rauschen und Knacken. Mit einem Overhead-Projektor werden menschliche Körperteile in Staub gezeichnet, die Bühne ist übersät von gelben Filzkugeln, irgendwo im Hintergrund steht ein Staubmensch (slightly creepy). Alles davon, und das ist nicht wenig, ist vom Kollektiv Spitzwegerich selbst hergestellt worden. Das hat sich gelohnt. Auf ästhetischer Ebene schafft „Staub“ nämlich eine wundervolle Gesamtkomposition, die beeindruckt.
Kurzum: Staub ist eine Performance, die insbesondere musikalisch und gestalterisch überzeugt. Dennoch bleibt am Ende vor allem folgende Frage: Wie viel Substanz hat das Stück und wie viel Staub?
Mehr Infos zum Stück gibt’s hier.
Idee, Konzept: spitzwegerich │ Text: Natascha Gangl │ Performance: Shabnam Chamani, Simon Dietersdorfer, Fabricio Ferrari, Birgit Kellner │ Live-Musik: Simon Dietersdorfer │ Live-Projektion: Birgit Kellner