Ein Baum, vier Jahreszeiten und ein massives Liebes-Vieleck. Oberflächlich inszeniert, so lala-gesungen und laut orchestriert. Das ist der Werther an der Wiener Staatsoper.
Weihnachten im Juli bekommt man im März an der Wiener Staatsoper: die Handlung
Eines der wichtigsten Opern-Merkmale ist mitunter das gerade noch rechtzeitige Liebesgeständnis am Sterbebett. Sterbeursache: Liebeskummer. Auch im Werther läuft es, nach sich ewig ziehender Handlung, auf dieses unerlässliche Liebesgeständnis der nun doch Verliebten für den an Liebe Sterbenden, hinaus. Klingt kompliziert, oder?
Brech‘ ma‘s runter: Worum geht’s?
Charlotte (Kate Lindsey) und Albert (Clemens Unterrainer) sind verlobt. Dann kommt aber der junge Werther (Matthew Polenzani) und verliebt sich in Charlotte. Diese heiratet aber Albert, worauf der Werther zum ersten Mal seinen geplanten Selbstmord anklingen lässt. Es weint Sophie, Charlottes Schwester, da sie sich als ebenfalls Verliebte doch so sehr an die Seite des Werthers wünscht. Charlotte ist bekümmert, reist dem Werther, der wiederum von Charlottes Ehemann Albert eine Pistole für den finalen Schuss erhalten hatte, nach. Sie erwischt (kein schönes Wort) ihn noch in seinen letzten Atemzügen und gesteht ihm seine Liebe.

Verschiedene Blätterfarben zeigen wechselnde Jahreszeiten und Gefühle
Eines der zentralsten Symbole, welche die Inszenierung von Andrei Serban zu bieten hat, wurde im Herzen der Bühne in den Boden gepflanzt: ein riesengroßer, uralter Baum mit zehn-Mann-breitem Stamm und einem dichten Blätterdach, das sich wie ein Zelt über den Schauplatz senken konnte. Anfangs ist es ein schönes, künstlerisches Gadget, im Publikum waren mehrere „Mei, wie schön“-s zu hören. Doch mit fortschreitender Handlung spiegelt die Baumkrone neben der anfänglichen lockeren Atmosphäre die Dramatik und Ernsthaftigkeit des Drame Lyrique wider.
Angefangen beim frisch leuchtenden Blätterdach senkt sich der Blick des/der Zuhörer*in in der ersten Szene zum Kinderchor, der schon im Juli ein Weihnachtslied einstudieren soll. Gartenmöbel sind gemütlich um den Stamm des Baumes positioniert. Sie zeigen die in die 50er Jahre zurückversetzte Handlung in lockerem Flair. Familie und Feiern, darum dreht sich erstmal das Geschehen. Dann jedoch kommt die verbotene Liebe ins Spiel und die Blätter beginnen sich braun zu färben. Nicht nur bezüglich der Liebe unterstützt das Blätterdach des Riesenbaumes symbolisch, sondern ebenso als Element der Zeit und Vergänglichkeit. Je stärker diese Liebesverstrickungen zum Vorschein kommen, desto mehr verfärben sich die Blätter. Bis sie schließlich pünktlich zur Todesszene (natürlich auch dem natürlichen Prozess des herandrohenden Winters geschuldet) zur Gänze von den Ästen fallen.

Ein wichtiges Detail ist auch die musikalische Begleitung, während Charlotte am Sterbebett des Werthers trauert. Es wird nichts anderes als das zuvor einstudierte Weihnachtslied vom Kinderchor gesungen. Ein wunderbares Zeichen von zeitgleichem Wechselspiel zwischen Leben und Ableben. Dieses Spiel von Vergänglichkeit im Hintergrund und dem Lauf der Natur hat durch diesen dauerhaft präsenten Baum und das sich kaum ändernde Bühnenbild perfekt auf das Publikum wirken können.
Vom Beginn bis zum Ende: das Weihnachtslied
Ein Weihnachtslied bildet die schöne Grundlage für die eigentliche Leidensgeschichte der Verliebten. Es wurde unter der Leitung von Charlottes Vater zu Beginn der Inszenierung vom Kinderchor einstudiert. Anfangs als fröhliches Geplänkel und Kindersummen unter dem großen Blätterdach des uralten Baumes auf der Bühne, lässt eben jenes einstudierte Weihnachtslied die Oper in trauriger, klammer Stimmung enden. Ein wunderbarer gespannter Bogen, der erst am Schluss seine dramatische Wirkung erkennen lässt.
Fazit?
Zwei-drei Mal erfreue ich mich, weil die letzten gesungenen Töne einer Arie besonders in Mark und Knochen gehen, weil ein bekanntes musikalisches Motiv aus dem Orchestergraben erklingt oder das Blätterdach des uralten Baumes gezielt zu gewissen Teilen der Handlung magisch zum Leuchten gebracht wird.
Ansonsten sitze ich inmitten von englischsprachigen Tourist:innen im Parkett und schaue für zweieinhalb Stunden dem Werther beim Leiden zu. Jubelstürme gab’s keine. Ein paar einzelne Bravo-Rufer, aber das war’s. Passend für eine Inszenierung, die auch nichts weiter Großes war.